Es greift um sich wie ein Fieber:
Hopsen Sie auch schon im "Gangnam Style"? Das Musikvideo zum gleichnamigen Song des südkoreanischen Rappers Psy, 34, ist in aller Augen, Ohren - und Hüften. Fast eine halbe Milliarde Mal wurde es bisher auf YouTube angesehen, seit es vor mehr als zwei Monaten hochgeladen wurde. Weltrekord! Und auch in den Charts ist Psy nach oben geschnellt, vorbei an Rihanna und Taylor Swift. Psy tourt durch die USA, tanzt mit Ellen DeGeneres und Britney Spears, gibt in seiner Heimat ein Konzert vor 80000 Menschen. Selbst UN-Generalsekretär Ban Kimoon outete sich als Fan und sprach sogar von Völkerverständigung: "In dieser Zeit der Instabilität und Intoleranz können wir die Musik nutzen, um uns besser zu verstehen." Und um gemeinsam zu tanzen. Denn Psys "Pferdetanz" ist der Schlüssel zu seinem Erfolg: Er tanzt im grellen Outfit durch Seoul und schüttelt sich dabei in den wildesten Bewegungen, simuliert das Reiten auf einem Pferd oder das Werfen eines Lassos.
Auch Stars wie Katy Perry, Robbie Williams und Nelly Furtado ahmen die Dance Moves mittlerweile nach und stellen ihre eigenen Videos ins Netz. Der Song ist eingängig, ein Club-Beat mit Techno-Untermalung, eigentlich nichts Neues. Neu ist aber, dass ein Song mit koreanischem Text die ganze Welt begeistert. Sänger Psy, der eigentlich Jae-Sang Park heißt, steht für die neue Generation junger Südkoreaner, die den Reichtum ihrer Eltern in vollen Zügen genießen können. Bevorzugt tun sie das in Gangnam, dem Nobelund Ausgehviertel der Hauptstadt Seoul. Psy singt unter anderem vom Kaffeetrinken: Er suche eine Frau mit Klasse, die sich einen guten Kaffee leisten könne. Nicht der Rede wert, könnte man denken. Doch die Südkoreanerin Jea Kim erklärt in ihrem Blog "My Dear Korea", dass es für junge Seouliter zum Statussymbol geworden sei, sich à la "Sex And The City" bei Starbucks zu treffen.
Als Stadtviertel entwickelte sich Gangnam erst in den Sechzigerjahren mit dem Wirtschaftsboom und der rasanten Industrialisierung des asiatischen Landes. Wo früher Kohl angebaut wurde, schlägt heute das Herz des modernen Südkorea: Die Immobilienpreise sind die höchsten im ganzen Land, alle wichtigen Firmen haben Dependancen hier, es gibt Luxusgeschäfte, teure Restaurants und Nachtclubs, außerdem die besten Schulen des Landes. Die Nouveaux Riches leben hier. Wer etwas auf sich hält, geht hier aus. Die, die nicht dazugehören, schauen auf zum Reichtum, Status und Lifestyle der Glitzer-Elite, verachten sie - und wollen doch genau so sein: jung, schön, reich, trendy und dekadent. Diese Hassliebe und die Hoffnungen parodiert Psy in seinem Song. "'Gangnam Style' ist etwas, das nur diejenigen für sich in Anspruch nehmen, die ihn eigentlich nicht haben", sagt Bernhard Seliger von der Hanns-Seidel-Stiftung in Seoul. "Wer tatsächlich im 'Gangnam Style' lebt, braucht nicht darüber zu reden. Es ist das Lebensgefühl einer Generation, die als Erste in Südkorea alles hat und nichts davon selbst erarbeiten musste."
Psy kennt diese Welt nur zu gut. Als Millionärssohn wird er in Gangnam geboren, wächst dort auf und studiert in den USA. Aber er ist kein typischer, angepasster Sohn reicher Eltern, wird beim Marihuana-Rauchen erwischt, produzierte mehrere Alben mit "unangemessenem Inhalt". In Korea ist er längst ein Megastar. Mit "Gangnam Style", der ersten Single-Auskopplung seines sechsten Albums "Psy's Best 6th Part 1" schafft er nun den Durchbruch, der vor ihm keinem koreanischen Popkünstler gelang - und den Spagat zwischen Massenerfolg und Gesellschaftskritik. Doch am allerwichtigsten, sagt er, ist ihm der Spaß. "Gangnam ist das Beverly Hills von Korea. Und ich habe den Beverly-Hills-Style!" Sandra Reitz