Patricia Kelly, 50, ist gemeinsam mit ihrer Familie seit mehreren Jahrzehnten in der Musikbranche fest verankert. Auch mit ihrer Solo-Karriere feiert die irisch-US-amerikanische Sängerin seit 2008 große Erfolge. Ein Jahr nach dem Start ihres eigenen Projektes, erkrankte sie an Brustkrebs - was sie in ihrem neuen Album "One More Year" verarbeitet. GALA traf Patricia Kelly in Hamburg und sprach mit ihr über die schwere Zeit ihre Erkrankung, wie sie heute damit umgeht und ihre musikalischen Ambitionen.
Patricia Kelly im GALA-Interview
GALA: 2008 haben Sie Ihr erstes Solo-Projekt verfolgt. Wie war es für Sie, sich in musikalischer Hinsicht von Ihrer Familie zu lösen?
Patricia Kelly: Damals hat die Kelly Family eine Pause eingelegt. Ich musste mich also entscheiden, ob ich weitermache oder aufhöre. Ich hatte kleine Kinder und die Verführung, sich ausschließlich ihnen zu widmen, war groß. Aber ich wusste, dass ich auf Musik nicht verzichten kann. Ich brauche es zum Leben - es ist ein Bedürfnis. Dann habe ich mein erstes Konzert gewagt. Ich habe zwei Wochen nicht essen können, weil ich extrem nervös war. Ich war es nur gewohnt, mit meinen Geschwistern zu singen. Am Ende war es aber befreiend: Als ich auf der Bühne stand, dachte ich: "Gut, dass du hier bist, Patricia".
Sie haben bereits zuvor Angebote für ein Solo-Album erhalten (1995). Was hat Sie damals davon abgehalten, eine Solo-Karriere zu starten?
Mitte der 1990er Jahre gab es in dieser Hinsicht eine sehr ernste Verführung. Die Chefin einer der größten Plattenfirmen dieser Zeit hat mir ein geheimes Meeting angeboten. Denn der Konzern wusste, dass wir immer Berater um uns haben. Ich bin zu dem Treffen gegangen und sie wollten mich abwerben. Ich sollte meine Familie verlassen und im Gegenzug würden sie mich zur neuen Britney Spears machen. Daraufhin bin ich aufgestanden, habe sie angeguckt und gesagt: "Ihr könnt mich nicht kaufen." Dann bin ich gegangen.
Generell habe ich keinen Konflikt zwischen der Kelly Family und meiner Solo-Karriere. Ich habe die Kelly Family mit meinen anderen Geschwistern aufgebaut - das ist mein Baby. Wir haben auch schwere Zeiten hinter uns und das verbindet.
Andererseits habe ich mich als Mensch und Person vielleicht anders entwickelt als die anderen Kellys. Deshalb brauche ich meine Solo-Sachen, damit ich diesen Teil von mir, die neue Patricia, verwirklichen kann. Bei meiner Solo-Karriere kann ich mich austoben und muss keine Rücksicht nehmen. Beides zu verfolgen ist daher optimal. Der einzige Konflikt, der besteht, ist Timing.
"Meine Welt brach zusammen"
Am 6. März kommt ihr neues Solo-Album "One More Year" heraus. In dem gleichnamigen Song und dazugehörigen Musikvideo erzählen Sie von Ihrer Brustkrebserkrankung. War das für Sie eine Form von Verarbeitung?
Sicherlich. Meine Songs sind kleine Tagebücher. Ich schreibe aus dem Bauch heraus. Ich habe eine App auf dem Handy, mit der ich meine Songs aufnehme. Das, was ich an dem Tag spüre, nehme ich auf und entwickle daraus ein Lied. Das ist immer eine Art von Verarbeitung - es ist eine Therapie für mich. Ich bin froh, dass ich Songs schreiben kann, weil es für mich eine Befreiung ist.
2009 habe ich erfahren, dass ich Brustkrebs habe. Meine Mutter ist daran gestorben, als ich zwölf war. Ich hatte damals zwei kleine Söhne, Iggi war sechs und Alex war acht. In dem Moment der Diagnose kam es hoch, wie ich mich gefühlt habe, als meine Mama verstarb. Es war äußerst schlimm, ich liebte meine Mutter über alles und war noch sehr jung. Sie ging sehr schnell von uns und es war eine Katastrophe für mich. Meine Welt brach zusammen.
Es hat zwei, drei Jahre gedauert, bis ich wieder ein fröhliches Mädchen war. Ich habe jede Nacht im Bett leise geweint, denn ich wollte die anderen nicht belasten. Meinem Vater ging es nicht gut und ist in eine Art Depression versunken. Das war wirklich heftig. Ich wollte nicht, dass meine Kinder so etwas erleben.
Ich brauchte die Jahre für meine Kinder. Diese zehn Jahre waren im August 2019 um. Natürlich hat es mich all die Monate vor dem Ablauf der Zeitspanne beschäftigt. Ich habe mich gefragt, ob ich mehr Zeit geschenkt bekomme oder nicht. Daher ist "One More Year" zu einer Single geworden.
Ihr war es wichtig "das Bewusstsein für die Krankheit zu erweitern"
Am Ende des Videos sind Original-Bilder dieser schweren Zeit zu sehen. Ein mutiger Schritt. Wann und wie haben Sie sich dazu entschlossen?
Das ist das erste Mal, dass ich so etwas zeige. Ich habe der Plattenfirma vermittelt, dass ich diese Single nur dann herausbringe, wenn sie einen Zweck erfüllt - das Bewusstsein für die Krankheit zu erweitern. Es sollte nicht mir, sondern anderen Frauen helfen. Ich habe darauf bestanden, dass die Telefonnummer der Brustkrebshilfe erscheint, damit Frauen unmittelbar anrufen und sich erkundigen können.
Die Hoffnung ist, dass das, was ich erlebt habe, vielleicht einem anderen etwas nützt. Und zwar dadurch, dass Frauen sich checken lassen. Deshalb wollte ich, dass jemand anderes in dem Video meine Rolle spielt, damit es nicht nur auf mich bezogen ist. Es ist ein Thema, das viele Frauen und viele Familien betrifft. Daher sollte es allgemein bleiben.
Damit die Leute verstehen, dass es keine Fiktion, sondern mein Leben ist, habe ich mich entschlossen, ein paar Bilder zu zeigen. Damit es greifbar ist, eventuell auch schockt und Frauen zur Vorsorge-Untersuchung treibt - das war meine Absicht.

Patricia Kelly: "Ich lebe nicht in Angstzuständen"
Sie sagten bereits, dass Sie das Thema noch beschäftigt. Haben Sie noch Angst davor, dass die Krankheit zurückkommen könnte?
Natürlich. Es wäre eine Lüge, es zu verneinen. Ich denke, wir haben alle Angst vor dem Tod. Das ist eine Urangst, die uns am Leben erhält. Angst ist aber nicht nur negativ, sie hat eine Berechtigung. Gefühle helfen uns, gewisse Dinge zu tun, beziehungsweise ihnen nachzugehen. Hätte ich diese Angst ursprünglich nicht gehabt, wäre ich nie zur Vorsorge gegangen. Diese Furcht ist immer da, aber ich lebe nicht in Angstzuständen. Wenn ich zweimal im Jahr zur Vorsorge muss, dann ist die Sorge natürlich hoch.
Ich bin ein realistischer Typ: Es kann immer wiederkommen. Ich tue aber mein Bestes dafür, zu sorgen, dass es nicht zurückkommt: Ich rauche nicht, trinke keinen Alkohol, ich mache fast jeden Tag Sport und nehme mir Auszeiten. Ich tue alles, was in meiner Macht steht, um am Leben zu bleiben, weil ich mein Leben liebe. Ich bin eine Kämpferin, aber mehr kann ich nicht tun. Sollte ich es erneut bekommen, werde ich noch einmal kämpfen.
Sie scheinen stärker denn je zu sein. Woher schöpfen Sie Ihre Kraft?
Ich habe das große Glück, dass ich Menschen um mich habe, die mich über alles lieben. Das ist eine unglaubliche Kraftquelle: mein Mann, meine Kinder und meine Geschwister. Zudem habe ich unheimlich gute alte Freunde, die mir, seit 30 Jahren immer zur Seite stehen.
Die zweite große Säule ist mein Glauben. Ich bin meinen Eltern unendlich dankbar, dass sie mich religiös großgezogen haben. Mein Glaube hat mir in schwierigen Momenten immer geholfen. Es gibt Menschen, die sind in solchen Momenten davon abwenden - bei mir war es das Gegenteil. Mir hat er in dem Moment spürbare Kraft gegeben. Deswegen ist es das, was mich trägt.
Sie will mehr sein als nur die "Balladen-Tante"
Was kann man denn sonst von dem Album erwarten?
Ich bin vielseitig. Ich liebe große dramatische Balladen, die sind meine Spezialität. Ich habe sehr stark daran gearbeitet, auf diesem Album auch poppige Songs zu haben, die das Feuer in mir widerspiegeln. Ich bin ein sehr emotionaler, aber auch feuriger Mensch. Diese zwei Aspekte sind auf dem Album zu finden.
Das stimmt. Ich hoffe, mit meinen Songs etwas zu bewirken. Sie sollen nicht nur im Hintergrund laufen. Ich hoffe, dass sie Menschen berühren. Das ist auch bei meinen Popsongs die Absicht. "Goodbye" ist zum Beispiel ein Song voller Wut.
Das Leben der Kelly Family hatte auch Schattenseiten
Vor allem bin ich dankbar, dass wir Mitte der 1990er Jahre diese Riesenerfolge feiern konnten. Wäre das nicht der Fall gewesen, würden wir heute wahrscheinlich nicht so touren können. Aber in der Zeit war ich nicht glücklich. Es war immer alles zu viel. Wir haben non-stop gearbeitet. Ich war damals als Managerin rund um die Uhr im Einsatz - ich habe mir die Zeit für eine Partnerschaft oder Freunde nicht genommen.
Interessante Frage. Die Kelly Family hatte immer verschiedene Aufstellungen. Ich war tatsächlich als Einzige Teil von jeder Konstellation. 1977 waren meine Eltern noch dabei. Später ist meine Mutter gestorben, woraufhin mein Vater ausstieg. Für mich sind die größten Bezugspersonen die älteren Geschwister, weil wir alles aufgebaut haben. Die Jüngeren sind dazu gekommen, aber wir haben die Grundlagen geschaffen und haben dafür gekämpft. Die Jüngeren wurden reingeboren, aber sie haben natürlich auch zu dem Erfolg beigetragen.
"Ich fühle mich heute fitter als mit 40 oder 30"
Ich hatte Respekt vor der Zahl. Jetzt bin ich aber total happy und merke keinen Unterschied. Man hängt natürlich an den Vierzigern, aber damit ist eben irgendwann Schluss. Zahlen haben heutzutage ohnehin eine andere Bedeutung: 50 ist das, was früher vielleicht 40 war. Heutzutage kann man sich länger jung und fit halten. Ich tue auch viel für meine Gesundheit und habe mehr Energie. Ich fühle mich heute fitter als mit 40 oder 30.
Überhaupt nicht. Ich kann sehr gut über mich selbst lachen. Auf Tour geschehen häufig Missgeschicke. Im Dezember ist tatsächlich viel passiert. Mir ist ein Stück vom Zahn abgebrochen: Ein Fan kam auf die Bühne, hat mich umarmt und mir dabei mein Mikrofon an den Zahn gestoßen.
Sie feiert bald ihren 20. Hochzeitstag
Seit Januar sind wir 19 Jahre kirchlich verheiratet und in diesem August sind wir 20 Jahre standesamtlich verheiratet. Ich habe kein Geheimnis, sonst würde ich es sofort mit jedem teilen. Ich frage mich wirklich, wo die Zeit geblieben ist, es geht so schnell vorbei. Es war überhaupt nicht schwierig mit Denis. Ich bin gern bei ihm und ich liebe ihn. Wir hatten auch Krisen, unsere Höhen und Tiefen - das bleibt in 20 Jahren nicht aus. Wir haben immer zueinander gefunden und das Wichtigste ist Kommunikation. Wir sprechen über alles.
Ja, er meint es ernst. Seit drei Jahren ist er Feuer und Flamme. Momentan ist er in Berlin im Studio. Er schreibt viele Songs, das macht er sehr gut und er wird stetig besser. Er ist fleißig, was die Musik angeht, aber wir haben einen Deal: Er muss Abitur machen, das ist meine Bedingung. Für ihn gibt es keinen Plan B, er kann sich nichts anderes vorstellen, als Musik zu machen. Ich bin sozusagen selbst schuld, denn ich habe meine Kinder stets ermutigt, ihren Herzen zu folgen, auch wenn es hart ist. Er wird seinen Weg machen. Und das Wichtigste ist, dass er glücklich ist.