Der Papst hat seine Koffer gepackt. Ein Hubschrauber wartet auf dem Landeplatz neben dem Turm des Heiligen Johannes in den Vatikanischen Gärten, um ihn am Ende seines letzten Arbeitstages, dem 28. Februar 2013, um 20 Uhr nach Castel Gandolfo zu bringen. Dem idealen Versteck vor dem Rest der Welt.
Niemand kommt unbefugt in dieses 23 Kilometer südlich von Rom gelegene, wuchtige Schloss hinein, das die Päpste im 16. Jahrhundert der Familie Savelli abnahmen, weil die ihre Schulden nicht bezahlen konnte. Nun können sich die Bräute der Stadt in Zukunft nicht mehr so selbstverständlich wie bisher im Garten des Papstes mit ihrem Bräutigam fotografieren lassen, denn der zurückgetretene Papst Benedikt XVI. liebt es, im Park von Castel Gandolfo spazieren zu gehen.
Als Joseph Ratzinger im Jahr 1981 im Auftrag der Kirche nach Rom kam, ahnte er nicht, dass es für immer sein würde. Deswegen richtete er sich für den Übergang ein, in einem kleinen Studierzimmer am Campo Santo Teutonico im Vatikan. Der freundliche Herr las jeden Donnerstagmorgen um sieben Uhr die Messe und sprach danach bereitwillig mit den Gläubigen. Ich werde nie vergessen, wie er auf meine Frage, ob er eines Tages der Nachfolger von Papst Johannes Paul II. werden könnte, antwortete: "Papst sein, das könnte ich nie."
Auf jeden Fall blieb er immer länger im Vatikan: Karol Wojtyla ließ Joseph Ratzinger, den obersten Glaubenshüter, den Präfekten der Glaubenskongregation, nicht gehen, obwohl der immer wieder seinen Rücktritt einreichte. Statt nach Deutschland zurückzukehren, bekam Joseph Ratzinger eine luxuriösere Wohnung im großen Wohnhaus am Grenzübergang des Vatikans, der Porta Sant’ Anna. In der Kaffeebar unten im Haus trank er morgens seinen Tee und ging dann quer über den Petersplatz zu seinem Arbeitsplatz in der Glaubenskongregation.
Man konnte die Uhr nach ihm stellen: Um 13.30 Uhr kam er zurück. Nach dem Tod seiner Schwester 1991, die ihn zeitweise versorgt hatte, setzte er sich oft in das Restaurant "Cantina Tirolese" in der Nähe seiner Wohnung, um für unter zehn Euro Mittag zu essen. Kardinal Ratzinger hatte viele Freunde in seinem Stadtviertel Borgo, und wenn man ihn fragte, wieso, sagte er: "Ich bin ein völlig unpraktischer Mensch." Er hat nie einen Führerschein gemacht, muss sich immer fahren lassen, er benutzt nie eine Schreibmaschine geschweige denn einen Computer. Ging bei ihm zu Hause eine Glühbirne kaputt, musste der Elektriker Angelo Mosca sie austauschen.
Sein größter Wunsch war es, nach Bayern zurückzukehren, und im Jahr 2005, als Johannes Paul II. im Sterben lag, schien das greifbar nahe. Doch der gab dem künftigen Papst noch einen Rat mit auf den Weg. Er sprach darüber, was die dringlichste Aufgabe für seinen Nachfolger werden würde: den "Schmutz aus der Kirche zu kehren". Dass er dieser Papst sein würde und dass ihm die Aufgabe zufallen würde, sauber zu machen, hat Joseph Ratzinger da noch nicht geahnt.
Nach seiner Wahl zum Papst am 19. April 2005 zog er in das große Appartement im dritten Stock des Apostolischen Palastes sein. Gern war er hier nie. Er vermisste den kleinen Garten, der hinter der Glaubenskongregation liegt, in dem er verletzte Katzen versorgte, mit ihnen spielte und ihnen Namen gab. Das päpstliche Appartement bedeutete nur: arbeiten, arbeiten und noch einmal arbeiten. Nur ganz selten gönnte er sich einen Spaziergang auf der Dachterrasse über seiner Wohnung. In den Räumen aus kalten, blank polierten Marmorplatten konnte er sein Herz kaum wärmen. Der einzige Ort, an dem er sich dort zu Hause fühlte, war die mit buntem Glas verzierte, kühle päpstliche Privatkapelle. In den letzten Tagen seiner Amtszeit überlegte er hier, was nun noch zu tun blieb. Denn in den vergangenen Jahren hatte Joseph Ratzinger, der eigentlich immer nur ein guter Wissenschaftler sein wollte, sich einen schmutzigen Krieg mit der Kirchenregierung, der Kurie, liefern müssen. Sie hatten ihn ausspioniert. Am 23. Mai 2012 war sein Kammerdiener, Paolo Gabriele, der wie ein Sohn für den Papst war, verhaftet worden. Er hatte streng geheime Dokumente gestohlen und weitergegeben. Der alte Papst hatte die Kardinäle Julián Herranz, Jozef Tomko und Salvatore De Giorgi zu Sonderermittlern ernannt mit dem Auftrag, alle schmutzigen Hintergründe der Spionageaffäre zu untersuchen. Ihren Bericht sollten sie dem Papst, nur dem Papst, vorlegen. Es kam ein erschreckendes Dossier von über 300 Seiten heraus, so erschreckend, dass Joseph Ratzinger am 11. Oktober 2012 über das "Unkraut" und die "verdorbenen Fische" in der Kirche sprach. Dabei geht es auch um Sex. Monsignore Tommaso Stenico, der in einem Fernsehinterview offen über Sex im Vatikan gesprochen hatte und dafür aus der Kirche flog, soll nur die Spitze des Eisbergs gewesen sein. Es soll Orgien in Villen rund um Rom gegeben haben, die Würdenträger aus dem Vatikan sollen besonders eine Sauna am römischen Stadtrand im Viertel Quarto Miglio bevorzugt haben.
Benedikt XVI. musste am Ende entscheiden, was der neue Papst wissen muss, um den Sumpf auszutrocknen. Denn es geht schließlich auch noch um viel Geld. Mitglieder der Kurie sollen Bestechungsgeld angenommen haben; über die Vatikanbank IOR soll Schwarzgeld gelaufen sein. Jetzt muss ein starker Papst kommen, um aufzuräumen.
Unterdessen wird das Kloster Mater Ecclesiae in den Vatikanischen Gärten umgebaut. Dort soll der Papst spätestens dann einziehen, wenn sein Nachfolger ab Juni den Sommersitz in Castel Gandolfo bezieht.
Benedikt XVI. wird dann in dem kleinen ehemaligen Kloster wohnen. Zwölf winzige Zellen gibt es in dem 450 Quadratmeter großen Gebäude, eine Küche, einen Speisesaal, eine Wäscherei und eine Bibliothek. Auch das Klavier des Papstes wird hierher gebracht werden. Hier will er seiner Kirche im Gebet beistehen. Und endlich wieder mit den Katzen im Garten spielen können.