Vor einigen Jahren saß ich auf der Terrasse des Kennedy-Anwesens in Hyannis Port. Fixpunkt der Polit-Dynastie, Ort unbeschwerter Sommer, großer Hochzeiten, leidvoller Trauerfeiern. Hier entstanden die legendären Segelfotos von John F. und Jackie, die dann von der Titelseite des "Life Magazine" strahlten und von der Verlobung von Senator Kennedy mit Jacqueline Bouvier kündeten.
Man hat Bilder im Kopf von dieser Terrasse, von diesem ganzen Gelände an der Atlantikküste überhaupt, dem Platz, an dem schon Clan-Mutter Rose ihre Trauer über den Tod der Söhne dem Meer anvertraute. Die Klischees stimmen nicht ganz. Alles ist viel bescheidener. Die Bewohner tragen uralte Kaschmirpullover. Was hier zählt, sind Sportsgeist und Sportlichkeit.

Dass ich überhaupt auf diese Terrasse gebeten wurde und in den Mythos der Familie eintauchen konnte, hatte mit einer Begegnung in den Neunzigerjahren zu tun. Damals traf ich Kathleen Kennedy-Townsend, die älteste Tochter von Robert und Ethel Kennedy. Sie war Politikerin geworden, weil ihr Vater ihr 1963 nach dem Tod von Onkel John eine Notiz geschrieben hatte: "Als Älteste der nächsten Generation hast du eine Verantwortung. Sei nett zu anderen Menschen und leiste deinen Dienst am Land." Damals war sie zwölf Jahre alt. Kennedy zu sein bedeutet Privileg und Pflicht zugleich - bis heute.
Jahre später suchte ihr Vetter Anthony Kennedy-Shriver den Kontakt, weil er in Deutschland einen Ableger seiner Organisation "Best Buddies" gründen wollte. Das Konzept ist so einfach wie effektiv: Ein nicht Behinderter kümmert sich um einen Behinderten, nicht als Pfleger, sondern als Kumpel. Klassischer Kennedy-Gedanke: Die Starken stützen die Schwachen. Ich war angesteckt von der Idee und erfreut, in unserem Garten ein Essen für Anthony und Eunice zu geben.
JFK-Schwester Eunice war aus dem Holz geschnitzt, das ihrem Vater Joe gefiel. Ihre Autorität war so legendär wie ihre Lebenskraft, die 2009 nach 88 vollen Jahren endete. Sie war sportlich, belastbar, charismatisch, zäh und ein wacher Geist. Sie hätte das Zeug zur Präsidentin gehabt. Doch das war in den Sechzigerjahren keine Überlegung wert. Auch an Einfluss mangelte es Eunice nie. So überzeugte sie ihren Präsidenten-Bruder, Menschen mit Behinderung nicht länger gesellschaftlich zu ignorieren. Über meinem Schreibtisch hängt ein Foto, das sie mir einmal gerahmt geschenkt hat: Sie reicht ihrem Bruder einen Füller, mit dem er gleich das erste Gesetz unterzeichnen wird, das die Rechte der Behinderten in den USA anerkennt. Ihr Blick trägt eine Mischung aus "Wehe!", "Siehst du!" und "Danke, ich bin stolz auf dich!". Das Foto ist vom 24. Oktober 1963.

Vier Wochen später, am 22. November, fielen in Dallas Schüsse, die wir heute noch zu hören meinen. Sie beendeten nicht nur das Leben von John F. Kennedy, sondern auch eine Illusion. Hatten der junge und unverschämt attraktive Präsident und seine schöne, gebildete Frau Jacqueline doch in den Jahren des Kalten Krieges die globale Hoffnung auf eine bessere, friedlichere, modernere Welt geweckt. Was blieb, ist die Trauer, ist der Gedanke daran, was alles möglich gewesen wäre, wäre dieser Tag anders verlaufen.
Seitdem lebt Amerika mit dem Mythos der Kennedys. Mit ihren Triumphen, mit ihren Tragödien. Denn das Schicksal sekundierte weiterhin mit makaberen Waffen. JFKs Bruder Robert "Bobby", der Hoffnungsträger der Armen, fällt 1969 ebenfalls einem Attentat zum Opfer, als er für das erste Amt im Staat kandidiert. John Kennedy Jr., von den Amerikanern liebevoll John-John genannt, und seine Frau Carolyn Bessette stürzen 1999 mit einem Privatflugzeug in den Atlantik. Triumph und Tragödie.

Ich fragte Eunice, wie sie die Schicksalsschläge in ihrer Familie ertrage, diesen vermeintlichen Fluch? Sie blickte auf die Marienstatue in der Ecke des Raumes und dann wieder zu mir: "Damit muss man umgehen. Welchen Sinn macht es zu jammern, wenn so viele Leute auf der Welt so unvorstellbare Tragödien erleiden müssen." Sie war katholisch und gläubig, aber ihre eigentliche Religion war der familiäre Zusammenhalt: Im Wohnzimmer des großen gemütlichen Hauses in einem Vorort von Washington waren überall Fotos, typisch Eunice, teilweise überdeckt von krakeligen Zeichnungen der Enkelkinder. Für mich war es wie im Museum, für sie ihre Familie. John F. und Bobby und all die anderen, aber auch Schwiegersohn Arnold Schwarzenegger und Maria, die geschätzte, einzige, ihr so ähnliche Tochter unter vier Brüdern. Eunice sagte: "Man muss sich gegenseitig unterstützen, muss aneinander glauben."
Das ist die Kraft der Kennedys. Jeder wächst aber nicht nur in dem Bewusstsein auf, etwas Besonderes zu sein. Man hat auch etwas Besonderes zu leisten! Für die Kinder von John, Robert und Ted war das eine schwere Bürde. Alkoholsucht, Affären, Selbstmorde. Einigen - wie Robert Junior oder Joseph Patrick - gelang es erst mit Mitte 30, stabil im Leben zu stehen. Was sie aber schafften: ihren Kindern die Last zu nehmen, den Namen Kennedy in die Politik tragen zu müssen. Daran hatte Patriarch Joe mit aller Macht gearbeitet, um seinen "Armer irischer Einwanderer"- Komplex loszuwerden. Die Kennedy-Enkel haben zwar nicht den Biss der Großelterngeneration, aber sie sind weit davon entfernt, sich versnobt auf ihrem Namen auszuruhen. Es zieht sie ins Showbiz, in den Umweltschutz, in den Journalismus. Selbst Patrick Schwarzenegger hat, obwohl eigentlich angehender Schauspieler, schon als Schüler eine fair hergestellte Modelinie gegründet.
In der großen Politik spielt der Clan derzeit keine Rolle. Vielleicht ist damit der Bann gebrochen. Weitergetragen von den nächsten Generationen wird der Stolz auf das Erreichte und das soziale Engagement. Und damit sind sie im besten Sinne bei der zentralen Botschaft von John F. Kennedy: "Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, frage, was du für dein Land tun kannst."