Katarina Witt Eine Reise zurück in die Kindheit

Katarina Witt
© Reuters
Sie ist eine der erfolgreichsten Eiskunstläuferinnen der Geschichte und galt lange als Aushängeschild der DDR. Für GALA öffnet Katarina Witt exklusiv ihr persönliches Archiv und verrät, weshalb sie ihre Kindheit als unbeschwert erlebte

Eine kalte, neblige Halle, dicke Strumpfhosen, stundenlange Pirouetten auf dem Eis: So sah die Welt der kleinen Kati aus. Jahrelang. Für viele eine unangenehme Vorstellung, doch Katarina Witt, die bald ihren 50. Geburtstag feiert, erinnert sich gern an diese Zeit, wie sie im Gespräch mit GALA erzählt. Die Belohnung für das harte Training: zwei Olympiasiege, vier Weltmeistertitel, sechs gewonnene Europameisterschaften. Und die Chance, die Welt zu bereisen, für die DDR-Athletin schon früh ein großer Ansporn. Wäre da nur nicht die Sache mit den Süßigkeiten gewesen...

Frau Witt, wie sind Sie zum Eislaufen gekommen?

Ich war fünfeinhalb, und ich ging in den Betriebskindergarten des Krankenhauses, in dem meine Mama als Physiotherapeutin gearbeitet hat. In der Nähe war ein Eisstadion, an dem wir beim Mittagspaziergang oft vorbeikamen und das mich irgendwie magisch angezogen hat.

War es Ihr Mädchentraum, Eisprinzessin zu werden?

Gar nicht! Es war nicht wie heute, wo man schon als Kind zu einer Eisshow geht und die schönen Kostüme sieht und das Licht. Das war alles etwas grauer und rauer, eine kalte Halle, ein bisschen neblig sogar. Aber der Sport hat mich so fasziniert, dass ich meine Eltern wochenlang genervt habe, bis sie mich endlich angemeldet haben.

Hat Ihre Mutter Ihre bunten Kinderkostüme selbst genäht und bestickt?

Ein ganzes Kleid zu nähen war nicht ihr Ding, aber ein paar Stickereien hat sie gerne ausgeführt. Das blaue Strickkleid hat eine Patientin von ihr gestrickt. Im Krankenhaus haben natürlich alle mitgekriegt, dass mich die Mutti in der Mittagspause immer ins Eisstadion gebracht hat.

Katarina Witt als Elfjährige bei der Kinder- und Jugendspartakiade 1977 in Berlin.
Katarina Witt als Elfjährige bei der Kinder- und Jugendspartakiade 1977 in Berlin.
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Wie oft haben Sie als Kind trainiert?

Als ich in die erste Klasse kam, stand ich bereits jeden Tag auf dem Eis. Die ersten Jahre bin ich noch in eine reguläre Schule gegangen, ab der dritten Klasse kam ich auf die Sportschule.

Ihre Trainerin Jutta Müller hat wahrscheinlich mehr Zeit mit Ihnen verbracht als Ihre Eltern, oder?

Auf jeden Fall. Ich bin schon in jungen Jahren morgens um sieben aus dem Haus gegangen und kam abends gegen sieben heim. Dann blieb eigentlich nur noch Zeit für eine Stulle, Hausaufgaben, und ab in die Falle. Meine Eltern haben immer gesagt: Hauptsache, die Kinder sind weg von der Straße.

Wie haben Sie Ihre Kindheit erlebt?

Unbeschwert. Ich bin in einem sehr geborgenen Elternhaus aufgewachsen. Ich wusste, ich kann mich immer auf meine Eltern verlassen. Ob es die Familie war, die Schule, der Sport – ich wusste, wo ich hingehöre. Und ich konnte genau das machen, was ich wollte, nämlich eislaufen.

Die Familie gab ihr stets Geborgenheit. Ihren 21.Geburtstag feierte Katharina mit ihren Eltern Käthe und Manfred in Karl-Marx-Stadt.
Die Familie gab ihr stets Geborgenheit. Ihren 21.Geburtstag feierte Katharina mit ihren Eltern Käthe und Manfred in Karl-Marx-Stadt.
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Platz für einen Freund hatten Sie als Teenager wahrscheinlich nicht, oder?

Doooch … Die Nachbarklassen auf der Sportschule waren die Eisschnelllaufklassen, da habe ich natürlich fleißig in diese Richtung geflirtet.

Gab es während der Pubertät auch Momente der Rebellion?

Es ist schon einige Quälerei dabei, jeden Tag bis zu sieben Stunden zu trainieren, kaputt zu sein, müde zu sein, man hat Blut im Schlittschuh, man hat Knieschmerzen, Rückenschmerzen. Wenn dann auch noch monatelang die Leistung stagniert, man aber auf vieles verzichtet, während die Freunde Halligalli im Leben haben, dann denkt man schon mal: Ich hab keinen Bock.

Haben Sie mal ein Training geschwänzt?

Nee, das wollte ich nie und hab es mich nicht getraut. (lacht) Aber ich bin mal mit 16 Jahren mit meiner damaligen Eislaufkollegin und Freundin von einem Trainingslager geflogen. Wir hatten abends mit den Eisschnellläufern gefeiert und über Nacht prompt ein Kilo zugenommen. Als wir am nächsten Morgen nach Hause geschickt wurden, haben wir uns vor Schreck erst mal auf dem Bahnhof ein Eis gekauft.

War so ein Eis normalerweise tabu?

Ja, Süßigkeiten allgemein. Dieses Thema war allgegenwärtig, immer wurde mit Argusaugen auf unser Essen geschaut. Jedes Gramm mehr auf den Rippen macht den Sport schwerer, die Sprünge komplizierter.

Ballett gehörte auch zur Ausbildung. Doch Kati fühlte sich auf dem Eis schon immer wohler.
Ballett gehörte auch zur Ausbildung. Doch Kati fühlte sich auf dem Eis schon immer wohler.
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Sie haben schon als junges Mädchen Politikern wie Erich Honecker und Egon Krenz die Hand geschüttelt. Wie war das für Sie?

Wir Athleten wussten, dass der Sport vom Staat finanziert wurde und somit von den Werktätigen der DDR. Ich habe diese Politiker ja niemals privat getroffen, sondern nur bei offiziellen Anlässen. Sie waren unsere Chefs, und wir mussten liefern und möglichst immer mit Goldmedaillen zurückkommen.

Wie haben Sie Ihre erste Reise in den Westen in Erinnerung?

Meine erste Reise ins "KA", ins kapitalistische Ausland – so hieß das damals –, ging nach Wien. Ich war elf, und es war für mich eine Farbexplosion. All die gefüllten Geschäfte, die Lichter und die Reklame, das war eine Reise in eine andere Welt. Unsere Motivation als Sportler in der DDR war ja nie, reich oder berühmt zu werden. Aber ein großer Teil der Motivation war: Mensch, du kommst mal in ein anderes Land, wo du sonst vielleicht nie hinkommen würdest.

Was ist für Sie heute Heimat?

Heimat ist da, wo die Menschen sind, die mir nahe sind und mit denen ich gerne zusammen bin. Heute ist das Berlin. Aber als ich zehn, fünfzehn Jahre in Amerika gelebt habe, fühlte ich mich auch dort zu Hause. Man nimmt ja immer ein Stück Heimat im Herzen mit, die ist seit der Kindheit in einem verwurzelt.

Anne Meyer-Minnemann, Stefanie Richter Gala

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