In der Galerie Gmurzynska in St. Moritz stürzen zwei Millionen Euro zu Boden. Die ehemalige TV-Ärztin Dr. Antje-Katrin Kühnemann ist beim Rückweg vom Buffet an ihren Platz mit ihrer Kehrseite unglücklich an einem Bild von Yves Klein hängen geblieben. Jetzt liegt ein blaues Quadrat, weiß gerahmt, auf dem grauen Betonboden. Die Angestellten bleiben souverän. "Keine Sorge." - "Ist doch nicht schlimm." - "Das kann doch wirklich jedem mal passieren." Die 68-Jährige im halbtransparenten Minikleid ist drei Minuten lang untröstlich. Dann holt sie sich ein Glas Champagner.
An einem Stehtisch wird von einer verliebten Galeristin berichtet, die nicht aufgehört hat zu weinen, seit sie in einer Zeitung Fotos von Vito Schnabel mit Demi Moore gesehen hat. "Das Mädchen dachte, sie wären ein Paar ..." Allgemeines ungläubiges Kopfschütteln. Sogar ihren Job soll sie wegen der Inkontinenz ihrer Tränendrüsen verloren haben, erfährt man. Am Abend zuvor traf man Vito in der Bar des Hotels "Badrutt’s Palace". Ohne Demi. Dafür mit blonder Begleitung.
Der Chef vom "Palace", in dem Gunter Sachs einst einen kompletten Turm bewohnte, ist auch da. Genau wie Vertreter des Niarchos- Clans, Philip und Spyros. Eigentlich sind alle da - und warten. Warten auf Lagerfeld. Er eröffnet hier und heute seine Kunstausstellung: "Fire Etchings", in Glas gebrannte Porträts . Dafür kommt er aus Paris eingeflogen. In einem Charterjet. Vor dem Abflug ist er noch schnell ins Atelier gefahren. Deshalb verspätet er sich. Am Ende werden es fast vier Stunden sein. Aber das verstimmt hier niemanden. Und das, obwohl die Zeit, es ist jetzt 16.25 Uhr, langsam knapp wird. Schließlich muss der Jet vor Anbruch der Dunkelheit wieder starten. Sonst könnte der Pilot Probleme mit den Schweizer Bergen kriegen.
Isabelle, die spektakulär hübsche Tochter der Galeriebesitzerin, schaut auf ihre fast ebenso spektakuläre Rolex. Ein goldenes Herren-Sportmodell, besetzt mit farbigen Brillanten. "Karl ist eben unpredictable, unvorhersehbar", flüstert die 26-Jährige. Stimmt. Denn genau da steigt er aus einem schwarzen Rolls-Royce.
Das exklusive Interview mit "Gala" beginnt er mit einer Bitte: "Wollen wir dieses Gespräch nicht im Stehen führen? Wenn man sitzt, wird es immer so gemütlich, und dann schlafe ich womöglich ein. Ich hasse Gemütlichkeit."
Herr Lagerfeld, Yves Saint Laurent sagte mit 17 Jahren zu seiner Mutter: "Irgendwann wirst du meinen Namen in Goldbuchstaben über den Champs-Élysées sehen." In welchem Alter waren Sie überzeugt, dass die Welt Ihnen einmal pompöse Beinamen wie "Karl der Große", "Modezar" oder "Kaiser Karl" geben würde?
Wissen Sie, ich bin aus Hamburg, und in Hamburg wäre es unfein, den eigenen Namen in Goldbuchstaben über den Neuen Wall zu hängen. Zumindest war das in meiner Jugend so, heute spielt das wahrscheinlich keine Rolle mehr. Ich bin viel schlimmer als Yves Saint Laurent, denn ich habe mir schon mit sieben Jahren andauernd vorstellen müssen, dass ich eines Tages sehr bekannt sein werde. Das war wie ein Zwang.
Ihre Mitschüler sagen, Sie hätten sich für ein Heiligtum gehalten.
Heiligtum ist nicht das richtige Wort. Ich kam mir wie eine Märchenfigur vor, wie eine Legende. Als ich noch ganz klein war, hat eine Zigeunerin meiner Mutter auf der Straße prophezeit, dass mein Name einmal um die ganze Welt gehen würde, bis nach Japan und China. Meine Mutter hielt das für Spinnerei, aber ich habe keine Sekunde gezweifelt, dass aus mir etwas sehr Besonderes wird. Im Vergleich zu mir als Kind bin ich heute schüchtern und bescheiden.
Mögen Kinder Sie?
Sehr sogar. Ich kann mit Kindern besser als mit Erwachsenen und bin bei ihnen viel beliebter als bei ihren Eltern.
Haben Sie schon einmal eine Windel gewechselt?
Nein. Wozu?
Haben Sie Patenkinder?
Im Ganzen habe ich sieben, aber davon interessieren mich im Grunde nur zwei: Der Sohn von Florentine Pabst ...
... eine Hamburger Journalistin, die 13 Jahre lang Modechefin bei "Marie Claire" war ...
... und der Sohn von Brad Kroenig.
Brad Kroenig ist Model und galt fünf Jahre lang als Ihre Muse. Über seinen 2008 geborenen Sohn Hudson gibt es eine schöne Geschichte. Als er mit knapp drei Jahren in New York in den Kindergarten kam, verteilte er Ohrfeigen und schrie: "Ich habe nichts zu schaffen mit euch! Ich bin Supermodel!" Kann aus Ihrem Patensohn etwas werden?
Dieses Wunderkind war schon mit drei Jahren auf dem Chanel-Laufsteg. Zurzeit ist er in einem Kurzfilm von mir zu sehen, der weltweit in den Schaufenstern der Chanel-Läden läuft. Wie ich höre, rennt er jetzt durch seinen Kindergarten und schreit: "Schaut mich an! Ich bin ein Filmstar!" Für die Eltern muss der Alltag mit dem Kleinen nicht gerade einfach sein, aber für uns ist das Ganze sehr witzig.
In Ihrem Film trägt Ihr Patensohn ein T-Shirt mit einem Fotoaufdruck, der Ihre derzeitige große Liebe zeigt: Choupette.
Es freut mich zu hören, dass selbst Sie schon wissen, wer Choupette ist.
Eine Katze, die mit maßgefertigtem Koffer reist, einen eigenen Twitter-Account hat und von einer Kammerzofe coiffiert wird, die schön ist wie ein Model.
Choupette scheint ja weltberühmt zu sein.
Sie haben stets streng darauf geachtet, sich gefühlsmäßig nicht von anderen Menschen abhängig zu machen. Und jetzt verfallen Sie ausgerechnet einer Hauskatze?
Ich hätte auch nie gedacht, dass mir so ein Drama passiert. Es ist etwas Mysteriöses um Katzen, schon durch die magische Rolle, die sie im alten Ägypten gespielt haben. Choupette ist wie eine Person. Sie kann sprechen und Ihnen genau erklären, was sie will. Sie müssen sie gesehen haben, um zu wissen, wie toll die ist.
Chanel N°5 wurde 1921 auf den Markt gebracht. Wie finden Sie es, als kreativer Kopf von Chanel, dass nach 92 Jahren mit Brad Pitt erstmals ein Mann für ein Chanel-Parfum wirbt?
Die Idee war gut. Die Ausführung leider nicht. Auf dem Foto sieht er ungepflegt und ein bisschen schlampig aus. Ich finde ihn gut, deshalb stört mich das nicht. Was ich dagegen nicht so toll finde, ist, dass er in den Werbeclips für Chanel N°5 so prätentiös spricht, als würde er Verse von Shakespeare rezitieren. Das war nicht nötig. Aber für die Parfums bin ja nicht ich zuständig.
Macht verändert vor allem den Mächtigen. Was haben 30 Jahre totalitäre Alleinherrschaft bei Chanel aus Ihnen gemacht?
Ja, Gott, wenn ich schon einen solchen Beruf mache, dann mache ich ihn halt so, dass ich ihn gerne mache. Die Devise bei Chanel lautet: Meine Meinung ist die allgemeine Meinung. Schön ist, was mir gefällt. Ich kann mich vertun, aber leider interessiere ich mich nun einmal ausschließlich für meine eigene Vision. Viele meiner Kollegen beschäftigen Berge von Mitarbeitern, die für sie Entwürfe zeichnen. Am Ende suchen sie dann bloß aus, was ihnen gefällt. So zu arbeiten würde mich zu Tode langweilen. Ich bin Heimarbeiter und mache alles selber.
Sie haben bei Chanel einen Vertrag auf Lebenszeit. Deformiert diese Allmacht bis zum Tod nicht zwangsläufig Ihren Charakter?
Dafür bin ich zu gescheit. Ha ha!
Die Lebenserfahrung zeigt, dass große Erfolge die Fähigkeit zum Zuhören vermindern. Wer darf Ihnen noch widersprechen?
Ich. Wissen Sie, mehr als 90 Prozent von dem, was ich mache, landet im Papierkorb. Ich bin Gott sei Dank ein äußerst strenger Kritiker. Ich höre wie Jeanne d’Arc auf meine inneren Stimmen. Und dann gibt es da noch drei Leute, deren Meinung ich für wichtig halte.
Wer sind die drei?
Das ist eben mein Geheimnis. Ich kann Ihnen diese Namen aus einem ganz simplen Grunde nicht nennen. Es gibt eine Menge Leute, die von sich meinen, sie hätten diese einflussreiche Rolle bei mir. Und wenn ich sie jetzt nicht nennen würde, wären sie zutiefst gekränkt. Man darf als Couturier auch nie auf die Frage antworten, wen man für die eleganteste Frau hält. Da wären all die Damen tödlich beleidigt, die ich nicht nenne.
Es ist keine Übertreibung, Sie den erfolgreichsten Modedesigner der Welt zu nennen. Macht Erfolg nur dann wirklich glücklich, wenn man andere scheitern sieht?
Wie entsetzlich! Sie haben aber perverse Fragen! Gott sei Dank bin ich noch nicht so weit, so zu denken. Außerdem glauben nur stumpfe Köpfe, dass Erfolg ein Dauerzustand sein kann. Ich habe nicht die geringste Achtung vor meiner sogenannten Karriere. Wenn mir Leute damit kommen, denke ich an das wunderbare Sprichwort: "Es gibt keinen Kredit auf die Vergangenheit." Für mich ist nur das wichtig, was ich als Nächstes machen will. Was ich gemacht habe, geht bei mir automatisch im Nebel des Vergessens unter. Nur wer keine Gegenwart hat, muss dauernd seine Vergangenheit verklären.
Welche Schulnote geben Sie Ihrem Witz?
Witzig zu sein macht keinen Spaß. Sie müssen amüsant sein.
Teenager lachen im Schnitt sechsmal am Tag, Menschen über 60 nur noch zweimal. Auf welchen Wert kommen Sie?
Ich lache den ganzen Tag. Aber fragen Sie mich jetzt nicht über wen.
Gibt es Karl-Lagerfeld-Witze?
Witze? Über mich? Die werden mir doch nicht erzählt! Aber ich kenne andere schlimme Witze. Ich bin Spezialist für zweifelhafte Witze.
Einen erzählen Sie in der Filmdokumentation "Lagerfeld Confidential". Er geht so: "Was haben ältere Frauen zwischen den Brüsten? - Den Bauchnabel."
Schlimm, nicht?
Einerseits sagen Sie, die Gleichgültigkeit sei mit den Jahren an Ihnen hochgewachsen wie Efeu. Andererseits sagen Sie, Sie seien kindisch rachsüchtig und würden in Ungnade Gefallenen noch nach zehn Jahren den Stuhl unterm Hintern wegziehen. Was stimmt denn nun?
Was Sie da beschreiben, ist für mich kein Widerspruch. Warum werde ich niemals meine Memoiren veröffentlichen? Weil es Leute gibt, die früher eine gewisse Rolle in meinem Leben gespielt haben, aber jetzt nicht mehr. Denen möchte ich doch nicht die Freude machen, in meinen Memoiren erwähnt zu werden. Die kommen in den Mülleimer der unnötigen Erinnerungen. Desinteresse und Gleichgültigkeit sind die gemeinste Strafe.
Den kompletten Artikel finden Sie in der aktuellen Gala. Sie ist ab Donnerstag, 7. März, am Kiosk erhältlich.