Die Überraschung naht nach Mitternacht
und hat geschätzte 2000 Kalorien. Eine Frau mit Wohlfühlfigur bahnt sich - und ihrer Torte - im Museumsrestaurant "Le Georges" den Weg durch die Menge. Sie huscht an der Absperrkordel vorbei, und plötzlich steht sie strahlend vor jenem Mann, dessen Silhouette ihr süßes Gebäck nachzeichnet. Karl Lagerfeld präsentiert hier, ganz oben im Centre Pompidou, gerade eine von ihm gestaltete Coca-Cola-Light-Flasche. Über die Torte, die ihm seine Anhängerin überreicht, freut er sich professionell. Er lässt sich auf ein gemeinsames Foto ein, reicht das Geschenk dann an seinen Leibwächter weiter. So laufen Lagerfeld-Events derzeit ab. Spätestens, seit KL in diversen Werbespots gleichzeitig auftritt, ist der Mann zu einem Massenphänomen geworden.
Wenige Tage später in einer Lagerhalle bei Paris: Hier zeigt Lagerfeld seine elitäre Seite. Sein Hummer-Geländewagen steht vor der Tür. Sebastien, der schöne Leibwächter, sitzt mit Dreitagebart und Tirolerhut in der Sonne. Drinnen geht es genauso entspannt zu: Lagerfeld fotografiert die neue Fendi-Kampagne. Das teuerste Model wurde engagiert, die beste Stylistin ist da, und die talentierteste Maniküre-Fachfrau wurde eigens eingeflogen. An nichts wird gespart. Lagerfeld begrüßt uns gut gelaunt. Er wolle sich gern Zeit nehmen - nur ab und zu müsse er "mal kurz ein kleines Foto machen".
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Sie vermutlich noch nie gefahren, oder?
Doch, doch. Mein erstes Auto war ein Volkswagen. Ich liebe VW. Sonst hätte ich diese Werbung nicht gemacht. Es werden mir so viele Projekte angeboten. Ich lehne ab, wenn ich das Produkt nicht gut genug finde.
Sie sind zurzeit im Werbefernsehen so allgegenwärtig wie Verona Pooth. Warum lässt sich ein Elite-Designer auf Werbung für Massenprodukte ein?
Ich vernachlässige meine Arbeit als Designer ja nicht. Ich lebe aber auch außerhalb meines Berufs - was wenige meiner Kollegen tun. Ich bin im Grunde eine Puppe, die zufällig diesen Beruf ausübt. Ich bin kein Marketingprodukt, sondern echt. Das nehmen die Menschen wohl wahr. Ich las in der FAZ, dass mich 90 Prozent aller Deutschen kennen. Das ist allerhand, erst recht wenn man bedenkt, dass es ja auch Kinder unter den Deutschen gibt.
Angeblich findet Sie aber nur ein Drittel sympathisch ...
Das hat mich gewundert. Viele Menschen identifizieren mich komischerweise vor allem über das Visuelle. Aber ich bin natürlich nicht nur eine Silhouette. Vor allem bin ich total frei und kann sagen, was ich will.
Traurig, dass dies heute schon als etwas Besonderes gilt.
Stimmt. Die Menschen sind unsicher. Sie haben Angst, ihren Platz in der Gesellschaft zu verlieren. Das kann mir nicht passieren. Meine Verträge gelten lebenslang. Und ich bin nie fest angestellt gewesen. Ich muss niemanden fragen. Außerdem muss ich nichts mehr für Geld machen.
Sie sind also nicht pleite, wie es hier und da kolportiert wurde?
Das Geld, das ich verdiene, spende ich. Bei Werbung verlange ich absichtlich sehr viel. So kann ich den Leuten erlauben zu sagen, dass sie nicht bezahlen können. Dann muss ich nicht absagen. Das ist eleganter.
Um welche Summen geht es da?
Ich nenne nie Geldbeträge. Es gibt aber auch viele Projekte, die ich umsonst mache.
Ist Selbstironie für Sie ein Antrieb?
Ja, natürlich. Humor ist, wenn man trotzdem lacht.
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Lachen Sie sich manchmal abends im Bett kaputt über den Hype, der um Sie gemacht wird?
Ich denke da gar nicht daran. Wie ich das geschafft habe, weiß ich selbst auch nicht. Es war nicht meine Absicht. Ich bin ja keine Karikatur wie Charlie Chaplin.

Vor einer Weile stichelten Sie gegen Heidi Klum, deren Ehemann Seal daraufhin fragte, wer "Karl Who" denn überhaupt sei. Kurz danach trug Ihre Gang T-Shirts mit diesem Aufdruck. Sie nehmen sich also offenbar nicht zu ernst.
Ich weiß gar nicht, was alle mit dieser Heidi Klum haben. Ich kenne sie nicht. Sie war nie ein Top-Model. Die beiden scheinen Wert darauf zu legen, dass ich sie hasse - was gar nicht der Fall ist. Sie wirkt ein wenig hart. Ich habe aber nichts gegen sie. Sie ist mir wurst.
Wie stehen Sie dazu, dass Heidi Klum mit ihrer Casting-Show angeblich echte Top-Models findet?
Das ist ein Irrglaube. In keiner dieser Sendungen, die es ja weltweit gibt, wurde ein Top-Model gefunden. Ich habe die Mädchen einmal fotografiert. Es waren alles hoffnungslose Fälle. Das Business basiert auf Zufällen. Es ist eine andere realité.
Wie nah an der Realität sollte man in der Fashion-Branche denn sein?
Die Geschichte von Galliano hat gezeigt, in welche Richtung es nicht gehen darf. Es war deprimierend, wie er am Ende seiner Shows wie eine alte Puppe auf dem Laufsteg stand. Er tat mir leid. Und ich fand es trostlos zu sehen, wie er abends in einer Bar sitzt, betrunken ist und sich provozieren lässt. Wer so alt ist wie er und so viel Geld verdient hat, sollte ein zivilisiertes Leben führen und nicht dasitzen wie ein besoffener Obdachloser. Traurig! Mir könnte so etwas nicht passieren. Aber ich kann ja sowieso nicht mehr auf die Straße gehen. Ich kann nicht mal mehr das Fenster öffnen.
Stört sie das?
Es gibt ein Sprichwort: Man kann nicht das Geld für die Butter haben - und gleichzeitig die Butter dazu. Wenn ich in einen Laden gehe, verfolgen mich die Leute. Das ist eben so.
Es heißt auch: Wer First Class fliegen will, muss die Economy bedienen.
Wer First Class ist, hat ein Privatflugzeug.
Vom Alltag bekommen Sie nichts mit?
Dafür habe ich meine Mitarbeiter. Die berichten mir davon.
Carine Roitfeld, die ehemalige Chefin der französischen "Vogue", sagte im "Spiegel", der Druck auf die Designer habe zugenommen.
Was für ein Quatsch! Es ist der gleiche Beruf wie früher. Immer wird alles auf den Stress geschoben! Wer damit nicht umgehen kann, kann nicht in diesen Beruf gehen. Wenn man aber den Finger in diese riesige Maschine steckt, muss man dafür auch ausgestattet sein. Sie können, etwa bei Chanel, nicht sagen: "Ich bin nicht glücklich." Nein! Für Chanel arbeiten mehrere Tausend Menschen, die können Sie nicht zum Stillstand bringen, weil Sie sich gerade nicht gut fühlen. Ich will keine Namen nennen, aber es gibt Häuser, in denen der Designer gar nichts mehr tut: Er hat sein Team, das alles entwirft. Ich mache dagegen alles selbst. Was Assistenten entwerfen oder stylen, interessiert mich nicht.
Weil Sie nur sich selbst vertrauen?
Ich habe Berater und Stylisten, doch es gibt nur eine Vision: meine eigene. No second option. Das ganze Haus Chanel - und ich spreche nicht von den Parfums, damit hab ich nichts zu tun - wird von vier Leuten geführt. Drei enge Mitarbeiter von mir. Und ich. Und die drei anderen hören auf mich. Ich habe freie Hand.
Fashion-Shows werden heute im Internet übertragen, so kann jeder seine Meinung zu den Kollektionen kundtun. Wie beeinflusst das die Arbeit von Designern?
Damit beschäftige ich mich nicht. Ich gehe nie ins Internet. Ich habe zwar ein Mobiltelefon, aber ich benutze es nie.
Anders gefragt: Können Designer visionär arbeiten, wenn Blogger im Internet eine an sich gute Kollektion verreißen?
Wenn Amateure, die ich nicht kenne, Dinge beurteilen, ist mir das total egal. Who cares?
Aber dank der Blogger-Szene denken viele Laien, sie hätten Ahnung von Mode.
Vor allem junge Menschen wollen alles, sofort und auf ewig. Jeder will heute Designer, Model, Schauspieler oder Sänger werden. Dabei beruht der Anfang auf Ungerechtigkeit und Zufall. Mag sein, dass das alles bei mir damals auch zugetroffen hat. Es gab keine Garantie, dass ich hier heute immer noch sitzen würde. Aber ich tue es.
Marcus Luft