Mit Dionne Bromfield zu sprechen, ist verwirrend.
Da sitzt sie einem gegenüber in ihrem knallroten Kleid (Rot ist ihre Lieblingsfarbe), ihr zierlicher Körper wirkt fast zerbrechlich, und man weiß nicht, wie man mit ihr umgehen soll. Der Tod ihrer Patentante Amy Winehouse ist nur wenige Monate her - doch davon, wie sehr sie das mitgenommen hat, lässt sich die 15-Jährige nichts anmerken. Sie wirkt unbeschwert, ihre Augen leuchten, als wäre sie ein Kind auf Abenteuerreise, sie lispelt dann und wann, was niedlich klingt. Doch gleichzeitig ist sie erstaunlich reif, fast abgeklärt. Sie schaut ihrem Gegenüber direkt in die Augen, spricht druckreife Sätze. Von der Cola light, die ihr ein Mitarbeiter der Plattenfirma hingestellt hat, nimmt sie nicht einen Schluck - so konzentriert ist sie. Dionne Bromfield ist auf merkwürdige Weise Kind, Teenager und Erwachsene zugleich. Sie lacht, wenn man ihr das so sagt: "Das kommt daher, dass ich wegen der Musik viel mit Älteren zusammen bin. Deshalb wollte ich auch nicht mehr zu Hause unterrichtet werden und zurück an meine Schule. Mir fehlten meine Freunde."

Ein Crashkurs in Sachen Erwachsenwerden war für sie der "Vorfall", wie Dionne den Tod von Amy nur nennt. Neben der Trauer über den Verlust musste sie verkraften, dass auch sie und ihre Familie (Mutter Julie, die seit Jahren im Musikbusiness arbeitet, ist eng mit Amys Vater Mitch befreundet) plötzlich im Rampenlicht standen, dass Fotografen und Fans sie jetzt auf der Straße ansprechen. Zwei Tage bevor Amy Winehouse am 23. Juli in ihrer Londoner Wohnung starb, hatte man Dionne und Amy bewusst zusammen wahrgenommen: Da war die große Amy bei einem Konzert von Dionne zu ihrem Schützling auf die Bühne geklettert. Was denkt Dionne über Amys turbulentes Leben, die Abstürze, die problematische Liebe zu Blake Fielder-Civil? "Ich habe mit ihr nie über diese Probleme gesprochen - man wusste ja, wie sie tickt. Schwierige Situationen hat Amy meistens mit Humor überspielt. Sie konnte wahnsinnig witzig sein! Früher als Kind habe ich immer so viel gelacht, wenn sie da war. Deshalb ist meine Mutter überhaupt auf die Idee gekommen, sie zu fragen, ob sie meine Patin werden will."
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Trotz des Altersunterschieds von zwölf Jahren entwickelte sich eine enge Freundschaft zwischen Dionne und Amy. Dionne Bromfield ist wie Amy ein Scheidungskind, zu ihrem jamaikanischen Vater hat sie wenig Kontakt. Sie lebt mit ihrer Mutter, die sie zu allen Terminen begleitet, im Londoner Vorort Chislehurst, besucht wie einst Amy die renommierte Sylvia Young Theatre School (sie hasst Mathe, liebt Englisch!). Amy nahm Dionne nach einem Konzert von Beyoncé Knowles mit in den Backstagebereich, stelle das Mädchen dem Superstar vor. Vielleicht sah Amy in Dionne die Unschuld und Unbeschwertheit, die sie selbst nicht hatte. Es gibt da dieses Video, das die zwei in einem Hobby-Studio zeigt. Amy, in Jeans-Shorts und BH, klimpert auf der Gitarre den Alicia-Keys-Song "If I Ain’t Got You". Dionne singt. Anfänglich unsicher, aber beim Refrain gibt sie Gas. Am Schluss klatscht und pfeift Amy begeistert. Nachdem sie 2008 fünf Grammys abgeräumt hatte, gründete sie ihr eigenes Label. Der erste Act, den sie unter Vertrag nahm: Dionne.
Die berühmte Förderin ist heute Segen und Fluch zugleich. Natürlich liegt Amys trauriges Schicksal wie ein dunkler Schatten über allem. Dionnes gelungenes Album "Good For The Soul" hat darüber hinaus den typischen Soul von Amys Platten, ihre Stimmen klingen ähnlich. Wie geht Dionne damit um? "Ich sehe solche Vergleiche als Ehre an. Aber die Menschen müssen verstehen, dass ich nicht Amy bin. Ich kann ihr Erbe weiterführen, aber ich kann nicht die neue Amy sein." In ein paar Monaten schließt Dionne die Schule ab. Das College lockt sie erst mal nicht, sie will ein weiteres Album aufnehmen. Ihr Händedruck zum Abschied ist fest. Der Schatten von Amy ist groß, aber Dionne Bromfield hat die Kraft und das Talent, um daraus hervorzutreten. Hauke Herffs