Der Jetlag nagt noch an ihm, als wir uns im Berliner "Westin Grand"-Hotel treffen,
doch für David Garrett ist das kein Grund, einen Gang runterzuschalten. Schnell noch die nächsten Termine mit der Assistentin besprechen, schließlich ist das neue Album "Music" gerade erschienen, und am 9. November startet seine "Rock Anthems"-Tour. Dann ist der 32-jährige Star-Geiger bereit fürs Interview, erzählt von seiner Kindheit, von Glamour und Einsamkeit - er macht es lächelnd, aber immer kontrolliert. Gelernt ist gelernt ...
Werden Sie manchmal von Gefühlen überwältigt, wenn Sie auf der Bühne stehen?
Ich bin immer Profi genug, nicht so viel Emotion zuzulassen, dass ich mich nicht mehr konzentrieren kann. Ich bin Interpret und muss für das Publikum delivern - den Luxus, sich in der Musik zu verlieren, den hat das Publikum.
Und wenn Sie nur für sich spielen?
Dann bereite ich mich auf den Bühnenmoment vor. Wenn ich zu Hause ein Stück erarbeite und Emotionen zulassen muss, weiß ich genau, wann es zu viel oder zu wenig ist.

Kann man Gefühle so genau kalkulieren?
Oh ja! Besonders wenn man wie ich Gefühle vermitteln muss. Gefühlsduselei macht da keinen Sinn. Ich bin in dem Moment einfach ein Sklave großartiger Musik. Ich muss ja diese Musik rüberbringen und kann mich nicht selber in den Vordergrund stellen.
Klingt irgendwie einsam ...
Aber gerade auf der Bühne fühle ich mich am wenigsten allein: Ich habe viele Leute vor mir und sehr viele Freunde im Orchester hinter mir, die musikalisch und menschlich zu mir passen. Das ist das Schönste überhaupt, dass ich mit Freunden einen besonderen Moment genießen kann.
Und wie ist es danach?
Wenn ich im Hotel die Zimmertür schließe, gibt es schon so etwas wie eine Ernüchterung. Viele stellen sich das glamouröser vor, doch auch nach dem größten Erfolg muss ich einfach wieder schlafen gehen. Gerade auf Tour versuche ich so schnell wie möglich ins Hotel zu kommen, eine Kleinigkeit zu essen - und dann ist auch schon Licht ausmachen angesagt. Das ist manchmal etwas schwierig.
Können Sie gut allein sein?
Darin bin ich Spezialist, das habe ich jahrzehntelang trainiert. Nach einer Tour schalte ich erst mal das Handy aus und beantworte zwei, drei Tage keine Mails. Dann will ich mich um nichts kümmern und bin in meiner eigenen Welt.
Sie mussten auf vieles verzichten, um auf der Geige so virtuos zu werden. Hat Sie das egoistisch gemacht?
Ich bin heute einfach sehr konzentriert auf das, was ich machen möchte, ich habe gewisse Prioritäten in meinem Leben. Das Schwierige ist nur, dass du als Kind nicht gefragt wirst, ob du etwas machen willst oder nicht.

Wie geht man damit um, ein Wunderkind zu sein?
Es kommt auf die Konstitution an: Entweder du zerbrichst daran, oder es macht dich hart - zumindest härter. Geiger ist ein Beruf, in dem man ein Kämpferherz braucht. Du musst jeden Tag kämpfen und arbeiten, kannst nicht nachlässig oder faul sein. Du musst eine große Durchsetzungskraft haben, nicht nur in der Musik, sondern in dem ganzen Geschäft. Insofern ist es vielleicht auch positiv, früh anzufangen ...
Fühlen Sie sich auch mal schwach?
Nö, eigentlich nicht. In meinem Leben habe ich das Wichtigste immer aus Fehlern gelernt. Sie haben mich angespornt, noch besser zu werden. Jeder Moment im Leben hat Schwäche und Stärke. Du kannst selber entscheiden, was du daraus ziehst.
Sie standen gerade als Niccolò Paganini vor der Kamera. Welche Parallelen gibt es?
Auch er war jemand, der für das Instrument gelebt hat und Verzicht geübt hat. Wenn man Geiger wird, fängt das ja immer sehr früh an, auch mit dem Druck. Ich glaube, es gibt keinen erfolgreichen Geiger ohne einen Elternteil, der nicht stark gedrillt hat. Das war bei Paganini nicht anders als bei Mozart oder bei mir. Diese Erfahrung verbindet und gibt einem die Position, Dinge zu fühlen, die andere Menschen in dem Alter nicht fühlen können.
Klaus Kinski, der Paganini Ende der Neunzigerjahre gespielt hat, hielt sich für seine Reinkarnation. Er sagte: "Seine Musik drang in meine Knochen, meine Eingeweide und mein Geschlecht ..."
Das habe ich schon mit sieben Jahren gefühlt, besonders als mein Vater mir den Bogen auf den Kopf gehauen und gesagt hat: "Spiel die Caprice besser!" Da ging die Paganini-Musik auch in meine Eingeweide. (lacht)
Sandra Reitz