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David Gahan "Ich bin angekommen"

Damit meint Depeche-Mode-Sänger Dave Gahan: bei sich selbst. Denn erst jetzt ist er von der eigenen Arbeit überzeugt. Besonders von seinem neuem Solo-Album

Einen Gast namens Dave Gahan

kennt man an der Rezeption des Berliner Hotels "Hyatt" nicht. Der Sänger von Depeche Mode wurde einquartiert als "Mr. Sleep" - und der hat letzte Nacht offenbar nur wenig geschlafen: Vor dem Interview ordert Gahan, 45, in Jeans, schwarzem T-Shirt und dunklem Sakko, erst mal einen doppelten Espresso und eine Cola. Zum GALA-Interview treffen wir uns in der 220 Quadratmeter großen Maybach-Suite.

GALA: Lange Nacht gestern?

Ja, aber nicht, weil ich unterwegs war. Ich konnte einfach nicht schlafen. Jetlag wahrscheinlich. Ich habe dann die US Open im Fernsehen geguckt. So etwas sehe ich mir gern an, vor allem das Finale, dann ist es richtig spannend. Mich fasziniert diese Disziplin, die es erfordert, um so gut zu sein. Das erinnert mich dann immer ein wenig an mich selbst, wenn ich auf Tour bin und ebenfalls diszipliniert sein muss. Show um Show, und das fast zwölf Monate lang.

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GALA: Nur ein Jahr nach dem Ende der letzten Depeche-Mode-Tour melden Sie sich schon wieder mit einem Solo-Album zurück. Sind Sie ein Workaholic?

Könnte sein, ja. Es ist gut möglich, dass ich eine neue Sucht habe. Vor zehn Jahren war es der Alkohol, jetzt ist es die Arbeit. Es stimmt, ich bin rastlos. Außerdem habe ich einen Drang danach, mich selbst herauszufordern, immer wieder von Neuem.

GALA: Sie hätten sich aber doch genauso gut auf Ihren Lorbeeren ausruhen können, oder?

Stimmt. Ich habe das auch versucht, ungefähr einen Monat lang, nach der Tour. Da war ich ganz schön erschöpft. Aber nach einer Weile wollte ich wieder in mein kleines Studio in New York, wo ich jeden Tag hingehe. Wie zur Arbeit. Meistens arbeite ich aber gar nicht, sitze einfach nur da mit einem Zettel und einem Stift und schreibe meine Gedanken auf. Manchmal spiele ich ein wenig Klavier und warte, ob mir etwas einfällt.

GALA: Offenbar ist Ihnen ja dann doch jede Menge eingefallen. Ihr Album heißt "Hourglass", also Sanduhr. Bedeutet es, dass Ihnen die Zeit davonrennt?

Es ist ein Wort aus dem Song "Endless". Es geht darum, innezuhalten, sich bewusst zu machen, was gerade passiert und wie sich das anfühlt. Man denkt ja immer an das, was vorher war oder was als nächstes kommt. Aber eine Sanduhr kann man immer wieder umdrehen und sie startet erneut. Die Zeit rennt also gar nicht weg.

GALA: Nun zu Ihrem Song "Kingdom": Geht es darin um eine bessere Welt?

Ja, es geht um einen Platz, wo man sicher ist, wo man sich wohl fühlt. Ich gebrauche den Begriff "Kingdom" statt Gott, weil Religion immer etwas war, wovor ich Angst hatte. Als Kind musste ich immer in die Kirche gehen und ich hatte schreckliche Angst vor allem, dem Priester, den Piktogrammen. Ich fühlte nie diese Wärme, diese Verbindung, die andere Menschen in der Kirche spüren. Also habe ich mir meine eigene, bessere Welt kreiert und darin gelebt. Und jetzt singe ich darüber, dass ich auch jetzt immer etwas suche, das mir ein besseres Gefühl gibt.

GALA: Aber wann glauben Sie denn, das gefunden zu haben? Immerhin sind Sie schon 45.

Wahrscheinlich am Ende meines Lebens. Ja, ich bin 45, mein Leben ist halb vorbei. Aber es wurde wirklich schon besser in den letzten fünf Jahren. Ich habe nicht mehr ständig das Gefühl, dass ich nicht das mache, was ich machen sollte. Ich fühle jetzt zum ersten Mal, dass ich bei mir selbst angekommen bin. Und dass meine Arbeit richtig ist - die mit Depeche Mode und die als Solo-Künstler.

GALA: Wenn Sie einen neuen Song geschrieben haben, wer darf ihn als Erster hören?

Meine Frau. Sie hört manche Lieder auch schon zu Hause, wenn ich sie in mein Aufnahmegerät singe. Wobei ich versuche, davon wegzukommen, dass immer jemand sein Urteil über meine Musik abgeben muss. Das, was ich da mache, ist schon okay.

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GALA: Kritisiert Ihre Frau Sie auch mal?

Nein, selten. Sie ist ja auch Künstlerin und weiß, wie schwer dieser Job sein kann. Sie weiß, wie viel Arbeit, Übung, Disziplin und Hingabe es fordert, und deswegen ermutigt sie mich während des Entstehungsprozesses.

GALA: Wollen Sie wieder eine Solo-Tour machen?

Geplant ist nichts. Irgendwie habe ich auch das Gefühl, dass ich gerade erst eine Tournee beendet habe (lacht). Mal abwarten, wie das Album ankommt, vielleicht bin ich nächstes Jahr wieder unterwegs.

GALA: Wird Ihre Familie Sie gegebenenfalls begleiten?

Nein, dabei ist kein Platz für die Familie. Meine Kinder gehen zur Schule, sie sollen nicht herumreisen und in Hotels schlafen. Sie sollen ihr Leben haben, ihre Freunde treffen. Aber besuchen können sie mich natürlich gern mal.

GALA: Angelina Jolie und Brad Pitt schleppen ihre Kinder durch die ganze Welt ...

Wahnsinn, ich verstehe nicht, wieso sie das tun und sich auch noch von der ganzen Presse verfolgen lassen. Deren Kinder leben doch in einer ganz eigenen Welt. So etwas möchte ich nicht. Meine Familie ist das Wichtigste in meinem Leben, meine Kinder sollen mit Kontinuität aufwachsen.

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GALA: Sind Sie ein strenger Vater?

Ich bemühe mich, ja. Als Vater muss man zuhören, verstehen, führen. Aber manchmal entsteht Strenge schon allein durch Angst, dass die Kinder genau die gleichen Fehler machen könnten wie man selbst.

GALA: Gibt es im Gahan-Haushalt Traditionen wie zum Beispiel gemeinsame Abendessen?

Nun ja, wir versuchen zumindest, so was aufzubauen. Meine Frau ist berufstätig, ich auch. Aber ein gemeinsames Frühstück kriegen wir meistens hin. Und wir unternehmen viel zusammen. Umso schwerer ist es für mich, getrennt von meiner Familie zu sein. Gestern Abend habe ich mit meiner Tochter Stella Rose telefoniert, und an ihrer Stimme konnte ich hören, wie traurig sie ist, dass ich nicht da bin. Sie versucht dann zwar, tapfer rüberzukommen, aber man hört es ihr trotzdem an. Ganz schön herzzerreißend.

GALA: Stella Rose ist jetzt acht. Was wäre, wenn sie sich später mal in einen Rockstar verknallt?

(schockiert) Es wäre mir lieber, wenn sie das nicht täte. Diese Typen haben doch nur das eine im Kopf ... Aber ich bin jetzt schon sehr beschützend. Ich meine, ich bin ihr Vater, ich muss gut auf sie aufpassen. Und meine beiden älteren Söhne sollen mir dabei helfen. Jimmy ist schon 15 und Jack 20, er ist inzwischen ein richtiger Mann.

GALA: Ist es leichter, Vater von Söhnen zu sein?

Einerseits ist es einfacher, insbesonders, wenn es um Themen wie mit den Rockstars geht (grinst). Andererseits kann man mit Söhnen aber auch eher in eine Art Konkurrenzkampf geraten. Bei Jimmy und mir ist es oft so, dass ich mich an mich selbst erinnert fühle. Er ist so smart, dabei aber auch so verdammt unorganisiert - genau wie ich es früher war. Aber man muss seinen Kindern einfach vertrauen, mehr kann man nicht tun. Man ist nur ein Elternteil und nicht der liebe Gott.

GALA: Wollen Sie noch mehr Kinder?

Nein, damit sind wir durch.

GALA: Sie sind jetzt Mitte 40, um noch mal auf das Thema Alter zu sprechen zu kommen. Gibt es schon erkennbare Alterserscheinungen?

Ja, ich werde irgendwie immer altmodischer in meinen Ansichten: Ich finde, Männer sollten arbeiten und das Geld für die Familie verdienen, nicht die Frauen. Früher habe ich das nicht so gesehen. Ich meine, Jen, meine Frau, arbeitet auch, aber trotzdem möchte ich eigentlich derjenige sein, der die Kohle nach Hause bringt. Außerdem fällt es mir immer schwerer, zu relaxen. Wie Sie schon andeuteten, bin ich sehr rastlos. Ich habe den Drang, noch so viel wie möglich zu machen.

GALA: Vor zehn Jahren waren Drogen Ihr Laster. Was ist es heute?

Das Rauchen. Und Schokolade. Und wohl auch das Workaholic-Phänomen. Ich muss lernen, mein Tempo zu bremsen und das zu genießen, was ich erreicht habe - statt mich immer gleich wieder auf etwas Neues zu stürzen.

gala.de

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