Anzeige
Anzeige

Ben Kingsley "In meiner Seele fließt glühende Lava"

Sir Ben Kingsley spielt in der Verfilmung des Bestsellers "Der Medicus" die Titelrolle. Im "Gala"-Interview überrascht der Oscarpreisträger mit Einblicken in sein Altersglück - und das große Familientrauma

Wir treffen Sir Ben Kingsley, 69, am "Medicus"- Filmset in der Nähe von Ouarzazate, einer kleinen Stadt etwa 200 Kilometer südlich von Marrakesch. Hier, inmitten einer staubigen Steinwüste, hat die Crew ihr Camp aufgeschlagen. Gigantische Kulissen, die für die Verfilmung von Noah Gordons Bestseller-Roman gebraucht werden, ragen in den Himmel. Die Mittagspause - bei Couscous, Salat und Wasser - ist gerade vorbei. Die Luft flirrt. Man spürt deutlich die Nähe der Sahara. Es ist so heiß, dass man sich am Türgriff von Kingsleys Wohnmobil fast die Finger verbrennt, als uns der Weltstar freundlich hereinbittet.

Ben Kingsley, kannten Sie den Roman "Der Medicus" vor Drehbeginn?

Nein. Das Angebot, den Medicus zu spielen, kam völlig überraschend. Vor dem Drehstart hatte ich keine Zeit mehr, den Roman zu lesen. Das war aber überhaupt nicht schlimm, denn ich halte mich bei der Gestaltung meiner Rollen sowieso viel lieber ans Drehbuch. Da steht alles drin, was ich wissen muss. Und wenn ein Regisseur beim Drehen zu mir sagt: "Aber im Buch steht doch …", finde ich das ziemlich störend. Doch das ist hier zum Glück nicht der Fall. Ihr Landsmann Philipp Stölzl macht einen sehr guten Job als Regisseur.

Der Film ist international hochkarätig besetzt. Es finden sich aber auch zwei deutsche Schauspieler darunter: Elyas M’Barek und Fahri Yardim

… beides talentierte Kollegen mit denen ich sehr gut ausgekommen bin. Ich arbeite gerne mit jüngeren Schauspielern zusammen. Ich halte mich nämlich selbst noch für ziemlich jung.

Dabei feiern Sie Silvester Ihren 70. Geburtstag!

Das stimmt. Und es stimmt auch, dass ich schon eine ganze Ecke gelebt, eine Handvoll Filme gemacht und vier erwachsene Kinder habe. Und trotzdem fühle ich mich noch nicht alt oder verbraucht. Es fühlt sich an, als ob in meiner Seele immer noch viel glühende Lava fließt, die längst nicht erstarrt ist. Ich lasse mich immer noch vom Leben formen.

Was hält Sie denn so jung? Ihre Arbeit? Ihre Frau ? Sie ist immerhin gut 30 Jahre jünger als Sie …

(lacht) Wohl beides. Meine Arbeit ist eine ständige Herausforderung für mich. Das spornt mich jeden Tag von Neuem an. Wie sagte Mick Jagger richtig: "Man ist immer nur so gut wie das letzte Konzert!" Das gilt auch für mich. Das Ausruhen auf längst vergangenen Erfolgen ist nicht meine Sache.

Und Ihre Frau?

Meine Frau Daniela ist ein nie versiegender Lebensquell für mich. Und was den Altersunterschied betrifft: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass "Alter" ein sehr relativer Begriff ist.

Sie meinen, man ist immer nur so jung - oder alt -, wie man sich im Herzen fühlt?

Ich weiß, es klingt wie ein Klischee, aber im Grunde stimme ich dem zu. Daniela ist mein Lebenselixier. Sie ist nicht nur wunderschön, sondern bringt auch täglich viel Freude und Klarheit in mein Leben. Ich bin ein glücklicher Mann.

Was hat Sie an der Rolle des Medicus am meisten fasziniert?

Es gab Ibn Sina ja wirklich. Zur Vorbereitung auf diesen komplexen Part habe ich mich in ein paar seiner Texte vertieft, die er vor fast tausend Jahren geschrieben hat. Einen seiner Aussprüche trage ich sogar hier, während der Dreharbeiten, auf einem kleinen Zettel bei mir. Er lautet: "Ich würde lieber ein breites und kurzes Leben haben, als ein langes und enges."

Sie können mit dem Lebensmotto also etwas anfangen?

Absolut. Damit kann ich mich identifizieren. Das ist eine sehr moderne Einstellung.

Was gehört für Sie zu einem intensiven Leben dazu?

Die ganze Bandbreite menschlicher Empfindungen.

Der berühmte Arzt Ibn Sina (Ben Kingsley) im Kreise seiner Schüler – Szene aus "Der Medicus".
Der berühmte Arzt Ibn Sina (Ben Kingsley) im Kreise seiner Schüler – Szene aus "Der Medicus".
© PR

Also Liebe, Hass, Sex, Lust, Tod, Sehnsucht, Gewalt …

… all das - und noch so viel mehr. Das ist ja ein Grund, warum ich so gerne Schauspieler bin: dass ich davon erzählen kann. Ich verstehe mich in erster Linie als Geschichtenerzähler. Durch diesen wunderbaren Beruf habe ich so viele Facetten des Lebens immer wieder neu kennengelernt. Und ich hoffe sehr, dass mich das zu einem besseren, einfühlsameren Menschen gemacht hat. Und zu einem besseren Vater, Freund und Ehemann.

Wollten Sie nicht ursprünglich Arzt werden?

Ja, aber das war ein komplett falscher Weg, den ich nur kurze Zeit einschlug. Ich tat das, um meinen Eltern zu gefallen.

Haben Sie Ihren Eltern viel zu verdanken?

Mein Vater war Arzt indischer Abstammung. Meine Mutter war Engländerin und arbeitete eine Zeit lang als Model und Schauspielerin. Das ist alles, was ich über meine Eltern zu sagen habe. So sehr ich sie liebe - ich verdanke ihnen nichts.

Das klingt ziemlich verbittert.

Ich will nicht zu sehr ins Private gehen. Aber mein Vater zeichnete sich vor allem durch seine Abwesenheit aus. Er ist dann irgendwann in einem Nebel aus Alkohol und Verbitterung über die Welt gestorben. Ich hatte nie eine ältere männliche Bezugsperson in meinem Leben, mit der ich meine Sorgen hätte besprechen können, bei der ich mir vielleicht sogar Rat hätte holen können. Als ich selbst Vater wurde, habe ich versucht, genau dieser väterliche Freund für meine Kinder zu sein. Und ich glaube, es ist mir ganz gut gelungen.

Sie sind ein gefragter Hollywood-Star und leben dennoch im ländlichen Oxfordshire. Reizt Sie die Großstadt nicht?

Ich habe sowohl in Los Angeles als auch in London längere Zeit gewohnt. Aber seit einigen Jahren fühle ich mich sehr glücklich auf dem Land - mit all meinen Hühnern. Und meiner Frau! (lacht) Allerdings nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.

Was inspiriert Sie heute am meisten?

Ein kreatives Leben zu führen, das ist es, was mich jeden Tag inspiriert. Kreativität ist mein großes Glück und die essenzielle Quelle meines Lebens.

Ulrich Lössl

Mehr zum Thema

Gala entdecken

VG-Wort Pixel