Blaues und grünes Discolicht flackert
, arabische Housemusik heizt die Stimmung auf. Wir stehen zusammengepfercht auf wenigen Quadratmetern und wissen nicht so recht, wie uns geschieht. Nach weniger als einer Minute öffnet sich die Tür. Plötzlich ist es taghell. Die Fahrstuhlfahrt ist zu Ende. Raketenschnell wurde ich - dank elektronischer Ablenkung ohne es zu merken - in den Himmel geschossen. Jetzt bin ich angekommen auf dem Dach des Burj Khalifa, mit 828 Metern das höchste Gebäude der Welt.

Natürlich könnte ich nun von der Aussicht schwärmen. Von den vielen umliegenden Hochhäusern etwa, die wie eine Beton-Oase in den Wüstensand gebaut wurden. Vom beeindruckenden Gigantismus Dubais in Grau und Beige. Aber, ganz ehrlich: Richtig viel erkennt man nicht. Sandnebel verhindert die weite Sicht. Also fahre ich wieder hinunter, auf den Boden der Tatsachen.
Der schnellste Lift, das höchste Gebäude, das größte Einkaufszentrum, die höchste Wasserfontäne: Im Emirat ist Understatement so unbekannt wie Schweinefleisch auf der Speisekarte. Insofern ist es auf den ersten Blick überraschend, dass ausgerechnet Giorgio Armani, der "King of Less", in den unteren 39 Stockwerken des Burj Khalifa sein erstes Hotel eröffnete. Andererseits ist "Hotel Armani Dubai" sicher eine der stilvollsten Herbergen der Welt. Und passt daher als "Superlativ der Reduktion" in die Reihe der Rekorde.
"Natürlich war ich überrascht, dass die Investoren von Emaar hier meinen Traum von einem Hotel realisieren wollten", verrät mir Giorgio Armani. "Für mich ist Dubai das Las Vegas der arabischen Wüste. Und ich stehe doch eher für einen ganz anderen Stil. 'Sind Sie sicher, das Sie mich wollen?', fragte ich Herrn Alabbar deshalb beim ersten Gespräch vor fünf Jahren." Emaar-Chairman Mohamed Alabbar wollte ihn. Nur ihn: "Herr Armani ist bekannt für seinen Perfektionismus", sagt er. "Es war nicht immer einfach, mit ihm zusammenzuarbeiten. Aber für uns gilt der Satz: Es ist leicht, ein Haus zu bauen. Aber es ist sehr schwer, ein Haus zu gestalten."

Die Chance, seine Idee von "sophisticated beauty" in einem Bauwerk auszuleben, war es, die Giorgio Armani an diesem Projekt gereizt hat. Dennoch heißt es hinter vorgehaltener Hand, dass Emaar nur unter der Bedingung in eine Kette von Nobelherbergen investieren wollte, dass das erste Armani-Hotel als Prestigeobjekt im firmeneigenen Burj Kahlifa öffnet. Mit dem Ergebnis ist der 75-jährige Modemacher jedenfalls überaus zufrieden. "Es war sehr bewegend, als ich heute zum ersten Mal das Haus besichtigt habe."
Die Gäste des Hotels sollen sich fühlen, als seien sie bei Giorgio zu Hause. Er liebt es, ein guter Gastgeber zu sein. Beim Dinner lässt er es sich nicht nehmen, jeden mit Handschlag zu begrüßen. Ich erinnere mich an ein Essen in Giorgio Armanis Privatwohnung, wo er sogar selbst die abgebrannten Kerzen auswechselte und Drinks servierte. Genau diese Gastlichkeit soll auch das Hotel ausstrahlen. Armanis Style ist ein warmer Minimalismus. Lobby und Zimmer sind in Brauntönen gehalten. Das Design ist klar, nicht kühl. Alles ist perfekt aufeinander abgestimmt. Selbst mein Club Sandwich ist so angerichtet, dass ich das Arrangement aus Toast, Salat, Ei und Bacon nur ungern zerstöre. Bis hin zum Blumen-Ensemble (eine Orchidee auf grünem Etwas) wurde vom Meister alles persönlich ausgewählt.
Selbst das Design des Ketchup-Glases oder der Betthupferl-Tüte (gebrannte Mandeln) ging über seinen Schreibtisch. Wahrscheinlich gibt es sogar Baupläne, wie die Pommes geschnitten sein müssen. Ich fühle mich wohl in meinem Zimmer. Ich schmeiße nicht mal, wie in anderen Hotels, meine abgelegten Klamotten auf einen Sessel. Denke ich an meine eigene Wohnung, komme ich mir zwangsläufig wie ein Messi vor. Sofort fasse ich den Vorsatz, künftig jedes Handtuch genauso akkurat, wie es hier vorgemacht wird, in ein Regal zu legen und vier meiner fünf Duschgels wegzustellen. Eine einzelne Flasche sieht im Bad doch viel ästhetischer aus. Vor allem, wenn der Flakon aus der Armani-Privé-Serie stammt und die Waschbecken aus hellem Granit gefertigt wurden. Ja, auch ich will ein "King of Less" werden. Mit diesem Vorsatz schlafe ich unter meiner weißen Decke ein. "Die karierte Bettwäsche fliegt zu Hause auch raus", ist mein letzter Gedanke. "Und heißmangeln werde ich künftig auch!", mein allerletzter ...

Am nächsten Morgen überlege
ich mir, wie die aufmerksamen Hotelangestellten wohl reagieren würden, wenn ich ihnen ernsthaft auf ihre Frage antworten würde, die mir zehn Minuten nach dem Aufwachen auf dem Weg ins Gym gefühlte hundert Mal gestellt wird: "How is your day, Mister Luft?" Nun, ich habe durchs Fernsehen gezappt, Zähne geputzt und meine Sportsachen angezogen, mehr ist nicht passiert.
Die freundliche Rundum-Versorgung wirkt nicht aufgesetzt, nur ungewohnt. Überall wird eine helfende Hand angeboten. Die brauche ich später, nach dem Gym-Besuch und einer "personalisierten, energetischen Massage". Ich finde meine Tür nicht. Türgriff? Zu plump für einen Armani. Magnetkarten-Schlitz? Wie gewöhnlich! Das Housekeeping-Team zeigt mir das versteckte Magnetfeld. "How is your day, Mister Luft?" Spitze! Schließlich komme ich in mein aufgeräumtes Zimmer und esse einen Keks – selbstverständlich mit eingebackenem Buchstaben A.
Bis zum Abend bin ich zum Ordnungsfanatiker mutiert. Viele der einheimischen Gäste, die zur Eröffnungsgala mit Modenschau und Dinner geladen sind, brauchen noch ein wenig, um sich an diesen Ort zu gewöhnen. Skeptisch schauen sie sich in der Empfangshalle um. Verschleierte Frauen tuscheln. Ihre Männer in landestypischen Dishdashas und Kaftanen wirken ein wenig ratlos. Den geliebten Pomp suchen sie vergebens. Golden ist hier im besten Fall die Kreditkarte in der Gucci-Clutch der Anwesenden.
"Sicher ist für viele Emiratis diese Art des subtilen Luxus noch ungewohnt", sagt Anne, meine Tischnachbarin. Sie zog vor sieben Jahren von London nach Dubai. Ob wirklich 90 Prozent aller Wohnungen im Burj Khalifa verkauft sind, bezweifelt sie. Viele Käufer, so hört man, könnten die Raten nicht mehr zahlen und würden daher versuchen, aus dem Vertrag auszusteigen. Dem Hotel gibt sie aber eine gute Chance: "Es gibt eine neue Generation, die verstanden hat, dass Protzen very last season ist. Außerdem leben hier so viele Europäer. Wir treffen uns mit Freunden oder Geschäftspartnern immer in Hotels. Hier darf Alkohol ausgeschenkt werden."
Die Gesichter der Emiratis hellen sich blitzartig auf, als am Ende des offiziellen Teils vor dem Hotel die weltgrößte Wasserfontäne zu "Time To Say Good-Bye" und buntem Scheinwerferlicht lustig tanzt. Meine Anmerkung "Das haben wir im Sommer jeden Donnerstag in Hamburg" wird abstrafend hingenommen. "Natürlich im viel kleineren Rahmen", entschuldige ich mich. "Weniger ist mehr" ist eine Lebenseinstellung, die man behutsam lernen muss. Aber Giorgio Armani hat bisher noch alle von seiner Vision überzeugt. Ansonsten gibt's ja immer noch den Disco-Lift aufs Dach des Burj Kahlifa ...