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Shari Dietz über Leben mit Behinderung "Inklusion ist keine Illusion"

Shari und André Dietz mit ihrer Tochter Mari, die mit dem Angelman-Syndrom geboren wurde.
Shari und André Dietz mit ihrer Tochter Mari, die mit dem Angelman-Syndrom geboren wurde.
© PR/Catja Vedder
In unserem Projekt "GALA - We Are Family" beleuchten wir das Familienleben mit all seinen Höhen und Tiefen. Heute schreibt Vierfach-Mama und Bloggerin Shari Dietz über das Leben mit ihrer Tochter Mari, die das seltene Angelman-Syndrom hat.

Shari Dietz ist vierfache Mutter, Hausfrau, Autorin und Bloggerin. Für uns beleuchtet die Ehefrau von "Alles was zählt"-Star André Dietz ihr Leben mit Tochter Mari, die am seltenen Angelman-Sydrom leidet. In zwei Tagen gibt es dann die Sicht von Papa André auf seine bunte Familienbande.

Mit einem Stapel Briefe setze ich mich an meinen Schreibtisch. Stille. Seit jetzt fast zwei Wochen ist auch unsere jüngste Tochter im Kindergarten und ich habe endlich die Möglichkeit, vormittags zu arbeiten. In Ruhe zu arbeiten. Das genieße ich so sehr! Ich starte also mit der Post und als erstes fällt mir ein Brief von der Stadt in die Hände. „Liebe Familie Dietz, ihre Tochter Mari kommt bald in die Schule...“ Wow.

Shari Dietz über das Leben mit Behinderung

Aber von vorne: Mein Name ist Shari Dietz. Ich bin (fast) 33 Jahre alt. 2009 habe ich meinen Mann André Dietz – seines Zeichens Schauspieler in der RTL-Serie "Alles was zählt" – kennengelernt und schon bei unserem ersten Date haben wir über Kinder gesprochen. Inzwischen haben wir vier davon. Wir sind seit acht Jahren verheiratet und waren als Paar bis heute nicht mehr als 20 Nächte voneinander getrennt. Mit unseren vier Kindern leben wir in der Nähe von Köln. Ich bin gerne Mutter und Hausfrau. Allerdings arbeite ich mittlerweile wieder, schreibe einen Blog und habe wirklich großen Spaß an Instagram. 

Wir hatten schon immer einen genauen Plan von unserem Leben, bis genau dieses uns gezeigt hat, dass nicht alles planbar ist: Unser Sohn kam mit einer Fehlbildung zur Welt – die glücklicherweise operiert werden konnte. Unsere Tochter Mari hat einen seltenen Gendefekt – das Angelman-Syndrom – der erst mit fast zwei Jahren diagnostiziert wurde.

Mari ist jetzt also ein Vorschulkind. Die Sommerferien sind gerade zu Ende und meine Gedanken kreisten in letzter Zeit mehr um die neue Schulsituation unseres Sohnes (er geht auf eigenen Wunsch jetzt neuerdings auch in die Ganztagsbetreuung der Schule) und die Eingewöhnung in den Kindergarten unserer jüngsten Tochter. An Maris neue Stellung als "Wackelzahn", so heißen die Vorschulkinder in unserer Kita, habe ich also noch keinen Gedanken verschwendet.

Inklusion statt Integration

Neben wackelnden Zähnen zeichnen Vorschulkinder für gewöhnlich ja noch ein paar weitere Eigenschaften aus: Manche schreiben schon ihren Namen. Andere haben bereits das Seepferdchen. Viele sind schon in der Lage, eine Schleife zu binden.  Ein Dreieck, einen Kreis oder ein Viereck zu malen. Unsere Mari kann nichts davon.

Mari wird im Dezember sechs Jahre alt und ist auf dem Entwicklungsstand eines Kleinkindes. Sie kann nicht sprechen, trägt noch eine Windel, kann nicht alleine essen und trinken. Sie läuft, das aber ziellos und sehr unaufmerksam. Am liebsten spielt sie mit Bällen, die sie in sämtliche Gefäße steckt, die ihr in die Hände fallen. Gerne auch mal das gefüllte Sektglas meiner Oma! Mari lacht den ganzen Tag und führt einen Tanz auf, wenn sie sich freut. Sie liebt ihre Geschwister so sehr, dass sie sie regelmäßig, total überschwänglich, in den Arm nimmt und auf ihre Art mit weit geöffnetem Mund und viel Sabber küsst. Sie spielt wahnsinnig gerne Fangen, wobei sie immer die ist, die alle jagt. Mari und ihre Geschwister machen unser Leben für uns zu etwas ganz Besonderem.

Mari kommt in die Schule. Denn auch wenn Mari nicht ganz „normal“ ist, ist sie integriert in das System.

Dem formell erstellten Anschreiben liegt ein Zettel mit Auswahlmöglichkeiten anbei. „Bitte wählen Sie drei Grundschulen aus, die in Frage kommen.“  Der Brief rüttelt mich wach. Klar: Mari kommt in die Schule. Denn auch wenn Mari nicht ganz „normal“ ist, ist sie integriert in das System. Das System, welches Schule für sie vorgesehen hat. Für sie genauso wie für jedes andere unserer Kinder. Und das System geht grundsätzlich erst einmal davon aus, dass Mari auf eine normale Grundschule geht. Was mit Sicherheit auch damit zu tun hat, dass es seit einigen Jahren in Nordrhein-Westfalen die Inklusion gibt. Das bedeutet, dass es keine eigens für behinderte Kinder ausgestatteten, integrativen Kindertagesstätten oder Schulen mehr geben soll. Keine Einrichtungen mit Therapieräumen, Therapeuten und geschultem Personal. Jedes Kind mit Behinderung soll jede Einrichtung besuchen dürfen.

"Unser Leben ist so normal, wie möglich"

Mari geht in einen anderen Kindergarten als all unsere anderen Kinder. Als die Entscheidung darüber klar war, waren wir am Boden zerstört. Damals hätten wir es so gerne gehabt, dass Mari mit ihren Geschwistern in einen Kindergarten geht. Heute wissen wir, dass Maris Kindergarten perfekt für sie ist. Die Räumlichkeiten in dem ehemals integrativen Kindergarten sind (noch) auf ihre Bedürfnisse angepasst, es gibt geschultes Personal und Therapieräume.

Shari und André Dietz mit ihren vier Kindern
Shari und André Dietz mit ihren vier Kindern
© PR/Catja Vedder

Und deswegen möchten wir, dass Mari auf eine besondere Schule geht. Eine Schule, auf der wir nicht die Eltern von dem behinderten Kind sind, sondern auf der wir alle Eltern von Kindern sind. In der es Räumlichkeiten und Materialen gibt, die auf Maris Bedürfnisse ausgelegt sind. Mari muss nicht Schreiben und Rechnen lernen. Sie muss lernen, auf Toilette zu gehen. Wie man sich im Straßenverkehr bewegt. Wie man isst und vor allem wie man ohne Sprache mit Menschen kommuniziert.

Inklusion ist viel mehr, als nur alle Türen für alle Menschen zu öffnen. Wir sehen da noch sehr viel Handlungsbedarf und hoffen, dass das Land nicht nach und nach auch noch die Sonderschulen aus dem System verabschiedet. Trotzdem bezeichnen wir die Inklusion nicht als Illusion. Wir leben Inklusion. Bei uns Zuhause, in unserem Familienalltag. Mari ist überall dabei und wir gestalten unser Leben so normal, wie es möglich ist. Besonders normal. Und wir bekommen dafür so unsagbar viel positives Feedback!

Ich ignoriere alle Auswahlmöglichkeiten auf dem Zettel und schreibe unten drunter: „Unsere Tochter Mari hat das Angelman-Syndrom. Bitte helfen Sie uns dabei, die geeignete Schule für sie zu finden.“ Ich bin sehr gespannt, wie unser Vorschuljahr weitergeht.

"Alles Liebe" von Familie Dietz erschien Anfang April und schaffte es prompt auf die Bestsellerlisten. Ca. 18 Euro
"Alles Liebe" von Familie Dietz erschien Anfang April und schaffte es prompt auf die Bestsellerlisten. Ca. 18 Euro
© PR

Wie wir als Paar das Schicksal als Chance gesehen und trotzdem das große Glück gefunden haben – davon erzählt im Übrigen auch unser Buch, das wir geschrieben haben und das Anfang 2019 rausgekommen und prompt auf der SPIEGEL Bestseller-Liste gelandet ist. „ALLES LIEBE“ zeigt, wie schwierig es zwischenzeitlich für uns war, aber vor allem, wie wir es geschafft haben, weiterzumachen und wieder glücklich zu sein.

kst Gala

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