Verena Pausder ist nicht nur eine von Deutschlands bekanntesten Start-up-Pionierinnen, sie ist auch unermüdlich im Kampf für mehr digitale Bildung unterwegs. Ihre Unternehmen "Fox & Sheep" und die "Haba Digitalwerkstatt" bringen Kindern spielerisch den Umgang mit digitalen Technologien und Programmieren bei. Wir trafen die dreifache Mutter und Vollblutunternehmerin in ihrem Büro in Berlin zu einem Gespräch über den Zustand und die Zukunft der digitalen Bildung in Deutschland.
Warum brauchen Kinder Apps?
Brauchen würde ich nicht sagen. Kinder haben Smartphones und Tablets um sich herum, das ist ihre Lebensrealität. Und dann brauchen Kinder wenn überhaupt die richtigen Apps. Es muss einen gewissen Anspruch an uns selbst und digitale Angebote geben. Wir müssen wissen, was Kinder damit machen und wie viel Zeit sie damit verbringen. Denn es wird so oder so passieren. Eltern müssen sich selbst einbringen und sich interessieren, was ihre Kinder mit digitalen Geräten machen.
Woher nehmen Sie die Ideen für Ihre Produkte?
Wir gehen schon rational und datengetrieben an die Entwicklung neuer Produkten heran, aber natürlich kann man sich nie ganz frei machen von dem eigenen Alltag als Mutter und den Interessen innerhalb der eigenen Familie. Trends im Spielzeugmarkt, Evergreens in der Kinderliteratur – diese Dinge versuchen wir in die digitale Welt zu transportieren. Es muss einen echten Mehrwert und Lernfaktor geben, der rechtfertigt, dass dieses Angebot auf einem digitalen Gerät genutzt wird.
Was sind die Gefahren der digitalen Welt? Wie können wir sie Kinder begreiflich machen?
Die größte Gefahr der Digitalisierung ist sicherlich, dass wir nicht wissen, wie schnell sie sich entwickelt und wohin. Wir könnten jetzt in Angststarre verfallen, es ausblenden oder verteufeln. Oder wir können es beherrschen und lernen, damit umzugehen. Wenn wir unsere Kinder zu Gestaltern einer neuen Welt ausbilden, dann ist es erstmal egal, wie diese neue Welt aussieht. Dann werden sie in der Lage sein, sich schnell auf neue Umfelder einzulassen, Fake News von echten News zu unterscheiden, Datenschutz zu verstehen und selbstbestimmt ihren beruflichen Weg zu gehen.
Warum schafft Deutschland es – im Gegensatz zu anderen Ländern wie z.B. Finnland oder Schweden – nicht, das Schulsystem erfolgreich auf einen neuen, digitalen Stand zu bringen?
Die größte Herausforderung ist sicherlich der Föderalismus. Wir müssen sechzehn Mal entscheiden, was Zukunft bedeutet. Man nehme nur den Zukunftspakt als Beispiel. Jeden Tag muss man sich die Frage stellen: Wie passen wir unser Bildungssystem an die Herausforderungen des Arbeitsmarktes von morgen an? Sollen unsere Kinder und Enkel nur Profianwender von amerikanischen oder chinesischen Erfindungen sein, oder sollen sie selbst in der Lage sein, Neues zu gestalten und zu erfinden?
Ein gutes Beispiel, wie es laufen kann, ist die Code University in Berlin, Deutschlands erste Universität für angewandte Softwareprogrammierung. Es gibt tolle Apps, Instagram- und Youtubekanäle: Simpleclub, Lehrerschmidt oder Sofatutor leisten großartige Arbeit. Und auf Instagram zeigt der Account "toller_unterricht" Best-Practice-Beispiele, die begeistern. Diese Graswurzelbewegung muss groß werden, muss flächendeckend um sich greifen. Jeder Einzelne, der etwas bewegen will, muss Druck auf das System ausüben.
Welche Länder gehen mit gutem Beispiel voran?
Alle nordischen Staaten natürlich, aber auch Estland ist dabei sich durch und durch zu digitalisieren. In Großbritannien steht Coding seit fünf Jahren sogar verpflichtend im Curriculum. Vor einem Jahr wurde dann Achtsamkeit hinterher geschoben. Das ist wichtig, denn Medienkompetenz bedeutet auch, abschalten zu können.
Ist unsere analoge Vergangenheit Schuld daran, dass wir Deutschen so viel Angst vor digitalem Wandel haben?
Bestimmt. Wer etwas nicht versteht, hat Angst davor. Wir haben in unserem Land keinen großen Technologie- oder Digitalkonzern gegründet, der auf unseren Werten basiert und Daten ausschließlich so nutzt, wie wir es für richtig halten. Wir können nur zuschauen, wie wir benutzt werden, und versuchen, zu regulieren. Dadurch wird die Angst jedoch nicht verringert. Mündigkeit ist die einzige Lösung. Wir sollten Deutschland nicht zu einem digitalen Niemandsland werden lassen, in dem wir uns jeglichem Fortschritt verweigern.
Alle können Snapchat, aber keiner kann programmieren. Wurden digitale Angebote lange Zeit ausschließlich als Entertainment gesehen und nicht als Chance?
Ganz sicher sogar. Viele Eltern denken heute noch, dass anspruchsvolle Pädagogik für Kinder draußen im Wald oder in Büchern stattfindet, während das Fernsehen die Kids nach einem anstrengenden Tag entspannen soll. Dabei sind die Möglichkeiten unendlich groß, Programmieren schon an Grundschüler spielerisch heranzutragen.
Ist Technik immer noch ein männliches Thema und Kreativität ein weibliches?
Gar nicht. Sechsjährige Mädchen kommen zu uns und haben es total drauf und die gleiche technische Begeisterung wie Jungs. Erst später, mit zwölf oder 13 Jahren, merkt man, wie sehr die Geschlechterrollen doch schon eingepflanzt sind. Diese Neigungen sind von der Gesellschaft, von der Wirtschaft und den Medien auferlegt.
Gibt es einen Masterplan, wie man Kindern den "richtigen" Umgang mit digitalen Geräten beibringen kann?
Durch positive Incentivierung. Wir haben Zuhause klare Regeln für Konsumzeiten. Diese Zeit wird nicht ausgeweitet, egal wie gut man sich benimmt, und ich checke vorher, mit welchen Apps meine Kinder spielen wollen. Wenn sie jedoch am Tablet lernen wollen, ob Sprachen, Wissenschaften oder Programmieren, dann bekommen sie Extrazeit dafür. Einzige Bedingung: Im Nachhinein werden mir die Ergebnisse gezeigt.
Klar würden meine Jungs auch lieber Fortnite spielen, aber diese faire Regelung führt dazu, dass sie sich dann eben doch an eine Lernsoftware setzen oder selbst etwas erschaffen, weil sie eben Bock haben, mit dem Tablet zu arbeiten.
Welches Ziel treibt sie heute um?
Ich habe mal für mich definiert, dass 2025 die digitale Ausstattung an allen Schulen und bei allen Lehrern Mindestmaßstab ist. Wir haben noch einen unglaublich weiten Weg vor uns. Ich habe vielleicht schon viel erreicht, aber die Welt verändert habe ich noch nicht. Das kommt noch! (lacht)