Fast hätte sie aufgegeben.
Fast wäre alles vorbei gewesen, noch bevor es wirklich begonnen hatte. Es war vor etwa zwei Jahren, als Mara Rooney die Kraft und den Willen verloren hatte, die es braucht, um sich in Hollywood durchzusetzen. "Ich hatte ernsthafte Zweifel daran, dass dieser Beruf der richtige für mich ist", sagt Rooney Mara im Gespräch mit "Gala". "Doch letztlich fehlte mir ein Plan B." Also machte sie einfach weiter. Und vielleicht wäre sie immer noch eine von unzähligen irgendwie hübschen, irgendwie talentierten Schauspielerinnen, deren Hoffnungen auf eine große Karriere von B-Film zu B-Film schwinden, hätte sie sich nicht in "Lisbeth Salander" verwandelt, die ebenso knallharte wie verletzliche Heldin aus Stieg Larssons Bestsellern. Es war eine der radikalsten Transformationen in der Geschichte Hollywoods und machte aus Rooney Mara eine der momentan begehrtesten Jungschauspielerinnen.
Als im vergangenen Sommer die ersten schockierenden Bilder von Mara - halb nackt, mit gepiercter Brustwarze, wirrem Haar und irrem Blick - via Internet um die Welt gingen, sorgten sie sofort für Diskussionen: Zeigt sie zu viel, hat sie das Format ihrer großartigen Vorgängerin Noomi Rapace - oder könnte sie sogar besser sein? Auf jeden Fall kannte innerhalb kürzester Zeit jeder den Namen Rooney Mara, der bislang jenseits von Hollywoods Casting- Agenturen völlig unbekannt war. Auch die Produzenten hatten mit dieser Kampagne erreicht, was sie wollten: größtmögliche Aufmerksamkeit für ihren Film. Denn dieses Remake war nicht unumstritten, viele Fans der Bücher und der Originalfilme diskutierten schon vor Beginn der Dreharbeiten hitzig, was das alles überhaupt solle, wer das eigentlich brauche. Schließlich sind die schwedisch-deutschen Verfilmungen von Stieg Larssons weltweit erfolgreicher "Millennium"- Trilogie erst vor Kurzem im Kino gelaufen, gelten als künstlerisch gelungen - und waren auch kommerziell erfolgreich. Selbst in den USA, wo man europäischen Filmen gegenüber höchst zurückhaltend ist, spielten sie rund zehn Millionen Dollar ein. Die globale Skepsis konterte Sony mit einem gigantischen Medienhype, dennoch blieb der erhoffte - und letztlich auch erwartete - Mega-Erfolg zunächst aus: Nur etwa 60 Millionen Dollar setzte "Verblendung" in den ersten beiden Wochen an den amerikanischen Kinokassen um. Das mag daran liegen, dass der Film in der harmoniesüchtigen Weihnachtszeit falsch positioniert war (der Trailer warb mit dem Claim "The Feel Bad Movie Of Christmas"). Oder daran, dass man auch nach den zweieinhalb Stunden, die "Verblendung" dauert, nicht wirklich weiß, warum er unbedingt noch einmal gedreht werden musste. Sicher, mit David Fincher ("Fight Club") wurde einer der innovativsten Regisseure unserer Zeit engagiert, und mit Steve Zaillian hat ein Oscar-Preisträger ("Schindlers Liste") das Drehbuch geschrieben; der Film ist bis in die Nebenrollen (Christopher Plummer!) perfekt besetzt, sieht großartig aus und ist nach einer etwas länglichen Exposition absolut spannend - doch letztlich fügt die Neuverfilmung dem Original nichts Entscheidendes hinzu.
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Mit einer Ausnahme: Und das ist eben Rooney Mara, 26 Jahre jung und im richtigen Leben mit der liebenswert scheuen Ausstrahlung einer Audrey Hepburn gesegnet. So überzeugend schlüpfte sie in die Rolle der misshandelten und gefühlsgestörten Hackerin Lisbeth Salander, dass man fast vergaß, wie perfekt Noomi Rapace in den drei schwedisch-deutschen Originalfilmen war. Dank ihr wurde Lisbeth Salander in den vergangenen zwei Jahren zu einer popkulturellen Ikone. Ihr punkiger Look - irgendwo zwischen S&M und H&M - wurde millionenfach kopiert. Und erfährt jetzt ein Update: H&M selbst legte eine von Rooney Maras Salander-Outfits inspirierte Kollektion auf.
Maras Leistung in "Verblendung" ist ein Triumph, die Golden-Globe- Nominierung hoch verdient. Dabei wollte Mara, die 1985 im Bundesstaat New York geboren wurde und aus einer Baseball-Dynastie stammt, ursprünglich gar nicht Schauspielerin werden, sondern Psychologie studieren. Doch nach einer Mini- Rolle im Schocker "Düstere Legenden 3", die sie 2005 über ihre Schwester Kara ("127 Hours") bekam, war sie angefixt. Was folgte, waren Auftritte in TV-Serien und eine erste größere Kinorolle im Remake von "Nightmare On Elm Street". Es spricht sehr für ihren Geschmack, dass Mara nach diesem überflüssigen Remake erst einmal genug hatte vom Filmbusiness. Und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass sie mit einem anderen - weitaus besseren - Remake zum Shootingstar wurde. Doch um dieses Ziel zu erreichen, musste Mara ein anderer Mensch werden - in jeder Beziehung. Denn zunächst einmal traute ihr nicht einmal Regisseur David Fincher, der sie von "The Social Network" kannte, wo Mara einen klasse Fünf-Minuten-Auftritt als Beinahe-Freundin von Mark Zuckerberg hatte, die Salander-Rolle zu - zu zart sei sie und zu hübsch, hieß es. Auch Mara selbst war nicht sicher, dass sie den Part wollte, die Richtige dafür sei. Doch dann sah es plötzlich so aus, als ob sämtliche Schauspielerinnen unter 30 - darunter Scarlett Johansson, Kristen Stewart und Keira Knightley - sich um die Rolle reißen würden. Und jetzt war auch Maras Ehrgeiz aufs Neue geweckt. Nachdem Fincher überzeugt werden konnte, ihr eine Chance zu geben, begann eine monatelange Abfolge von Vorsprechen, Probedrehs und Fotosessions - bis Fincher und die Produzenten endlich ihr Okay gaben: "Es war zeitweilig definitiv frustrierend", sagt Mara zu "Gala", "aber es war auch enorm aufregend." Und es wurde noch aufregender: Aus der niedlichen Rooney Mara sollte das abgerockte Punk-Mädchen Lisbeth Salander werden. Und sie sollte weniger nach Edelpunk aussehen als in den Originalfilmen, sondern authentischer, mehr street. "Wir haben uns von Sid Vicious inspirieren lassen", sagte Fincher der US-Zeitschrift "Entertainment Weekly", "die Sicherheitsnadel, die er sich durch die Wange gestochen hatte, und was sie bedeutete." Für Mara bedeutete es: Ihr wurden die Augenbrauen gebleicht, sie wurde mehrfach gepierct, ihre langen Haare mussten einem asymmetrischen Chaos-Schnitt weichen, und die Klamotten, in denen sie rumlief, waren so dreckig, als hätte man sie gerade aus der Mülltonne gefischt.
Eine Tortur waren dann auch die Dreharbeiten, zumindest streckenweise: Mara zog sich sehr zurück, lebte allein in einem Apartment, einziger Besucher: ihr Personal Trainer. Schließlich verlangte die Rolle auch körperlich alles von ihr; Lisbeth wird vergewaltigt, verprügelt, angeschossen - eine extremerer Part ist kaum vorstellbar. Doch mehr Angst als vor den körperlichen Qualen, die sie durchstehen musste, hatte Mara vor dem Scheitern: "Schlimmer war für mich eigentlich, dass ja niemand besondere Hoffnungen auf mich setzte. Ich bin sicher, dass viele Leute gern gesehen hätten, wie ich scheitere", erzählt sie - willkommen in Hollywood, Miss Mara! In den vergangenen Wochen tourte Rooney Mara mit Co-Star Daniel Craig, dem Film und einem halben Dutzend Designerkleidern von Givenchy, Rodarte und Roksanda Ilincic im Gepäck kreuz und quer über den Globus. Und wer sie gesehen hat, bei den Premieren in Los Angeles, Stockholm, London und zuletzt vergangenen Donnerstag in Berlin, der weiß: Dieser Teil ihres Jobs ist für sie eine viel größere Herausforderung, als es die Dreharbeiten waren. Ihre Zurückhaltung, ihre Scheu vor anderen Menschen, die Eigenschaften also, die sie so perfekt für die Rolle der Lisbeth Salander machten - und die durch die Dreharbeiten noch verstärkt wurden -, wird sie ablegen müssen. Denn Rooney Mara mag sich zu einem der begehrtesten Talente der Filmbranche entwickelt haben, aber: Ein wirklicher Hollywood- Star zu sein, das wird sie noch lernen müssen. Marcus Müntefering
Mitarbeit: Hili Ingenhove