Max von Thun legt in der Realität nicht viel Wert auf seinen Adelstitel - im TV und auf der Kinoleinwand sieht man ihn aber immer wieder als Aristokraten. Wie jetzt in "Anna Karenina" (Samstag, 4. Januar, 20.15 Uhr, Das Erste): In der nunmehr 15. Verfilmung des Literaturklassikers von Leo Tolstoi spielt er "Konstantin Dmitritsch Lewin", den Gutsbesitzer, der sich unsterblich in die junge "Kitty" (Lou de Laâge) verliebt. Die allerdings hat ihr Herz an "Wronski" (Santiago Cabrera) verloren, der wiederum "Anna Karenina" (Vittoria Puccini) liebt. Eine vertrackte und tragische Verflechtung von Liebesgeschichten, die auch heute noch - über 100 Jahre nach Erscheinen des Romans - die Zuschauer fesseln kann. Warum, erklärt Max von Thun im Gespräch mit Gala.de.
"Anna Karenina" wurde bereits etliche Male verfilmt. Was war denn das Besondere an dieser Version, das Sie gereizt hat, mitzumachen?
Ehrlich gesagt kenne ich keine einzige Verfilmung. Ich habe mir vorher versichern lassen, dass wir sehr nah am Original bleiben. "Anna Karenina" ist nicht umsonst Weltliteratur: Der Roman behandelt Themen, mit denen sich Menschen auch heute noch identifizieren können. Und ich glaube, dadurch kann man das auch immer wieder neu verfilmen. Als Vorbereitung für meine Rolle habe ich dann "Anna Karenina" gelesen und festgestellt: Das ist wirklich eine tolle Geschichte! Für mich als Schauspieler kommt hinzu, dass ich eine Rolle habe, mit der ich was anfangen kann und die eine Entwicklung durchmacht. Außerdem drehe ich gern historische Stoffe: Die Kostüme, die Kutschen… das alles macht mir sehr viel Spaß!
Was gefällt Ihnen am besten an Ihrem Charakter "Lewin"?
Literaturkritiker sind sich einig, dass "Lewin" der Alter Ego von Leo Tolstoi ist. Der war ein Aristokrat, hat sich aber sehr schnell in eine Datscha auf dem Land abgesetzt. Er hat mit seinem Glauben gehadert, hat ganz spät zu Gott gefunden. Und das alles passiert mit "Lewin" auch. Er ist ein Visionär, ist einer, der ausbricht. Er konzentriert sich auf die Wissenschaft und bringt den Fortschritt voran. Und natürlich, ganz wichtig: Durch die Geschichte zieht sich ja immer auch die Liebe. Jeder der Protagonisten hat ja seine eigenen Probleme mit der Liebe. Spannend!
Was machen denn die Personen in „Anna Karenina“ falsch, dass sie so unglücklich sind?
Wenn es um emotionale Dinge geht, gibt es kein richtig oder falsch. Es gibt eben verschiedene Arten, mit einer Situation umzugehen. Mal geht’s gut, mal geht’s schief. Und "Anna Karenina" ist voll von starken Emotionen, es geht um Betrug, Vergebung und natürlich diese ganz große leidenschaftliche Liebe. Bei "Anna" und "Wronski" schlägt der Blitz ein. Sie geben dem nach, sie lässt dafür sogar ihren Sohn zurück. Da könnte man sagen, die beiden machen viel falsch. Aber es ist eben auch richtig. Generell ein Urteil darüber zu fällen, wie sich andere verhalten, ist schwierig. Eine Beziehung ist immer von den Menschen abhängig, die daran beteiligt sind, und natürlich von den Konstellationen, in denen sie leben.
"Alle glücklichen Familien ähneln einander, aber jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Art unglücklich" ist der erste Satz aus dem Roman und wird auch immer wieder gern zitiert …
… das zeigt doch, wie zeitlos "Anna Karenina" ist. Das ist genau wie bei Shakespeare, da kann man ja auch einige Weisheiten heute noch immer wieder anbringen.

Sind Sie so ein Mensch, der immer das passende Zitat parat hat?
Nein. Ich vergesse den genauen Wortlaut immer. Und ich finde: Entweder man kann das richtig oder hält die Klappe.
Dass Sie jetzt den Roman für den Dreh gelesen haben, war das eine Ausnahme?
Wenn das Drehbuch eines Films, an dem ich beteiligt bin, auf einem Roman oder Ähnlichem basiert, dann finde ich sollte man das Buch auch lesen, allein schon aus Respekt. Und dann kann man auch schauen: Wie nah ist das am Original?
Warum ist Ihnen das wichtig?
Man könnte zum Beispiel aus "Anna Karenina" auch eine absolute Schmonzette machen. Ich würde sagen, dass unser Film das nicht geworden ist.
Und Sie haben wirklich keine der 15 Verfilmungen angesehen?
Ich muss gestehen, nein. Aber das Schöne ist: Unser Film läuft 2014 im Fernsehen. Die erste Verfilmung kam 1914 heraus. Es ist ein 100-jähriger Bogen, den wir hier schlagen!
"Anna Karenina" ist über 100 Jahre alt und trotzdem noch modern, weil …
… die Themen wie Liebe, gesellschaftliche Verpflichtungen, Intrigen auch heute noch aktuell sind und die Menschen beschäftigen. Es ist eben nicht alles total weltfremd. Die Charaktere treiben dieselben Dinge an, die uns heute auch antreiben. Natürlich haben sich die äußeren Bedingungen verändert. Aber man kann sich durchaus noch etwas daraus ziehen. Und trotz all der Kostüme und der Liebe ist unser Film nicht zu kitschig geworden, denke ich.
Man sieht Sie oft in historischen Filmen. Was reizt Sie daran – mal abgesehen von den Kostümen?
Als Schauspieler begebe ich mich dann immer auf eine kleine Zeitreise. Da geht ja vieles mit einher: Die Ausstattung, die Kleidung … bei guten Produktionen ist das ja auch sehr nah dran, wie es früher wirklich war. Und dabei kann man richtig was bei lernen: Man hat zum Beispiel mit Gerätschaften zu tun, die man nicht kennt. Man erfährt ein Leben, das man so nie kennengelernt hätte. Man lernt auch viel über Epochen, die man im Geschichtsunterricht nicht hatte …
… oder dann, als man nicht aufgepasst hat…
Ja, genau! (lacht.) Man erweitert seinen Horizont dadurch. Und, um nochmal auf die Kostüme zurückzukommen: Die helfen mir total. Wenn ich bei einem zeitgenössischen Film morgens ans Set komme und trage Jeans und T-Shirt und mein Kostüm besteht auch nur aus Jeans und T-Shirt und ich bin dann der …"Tommy", oder so: Da hat dann noch keine Verwandlung stattgefunden, ich muss sehr viel mehr Technik anwenden, um eine Figur zu erschaffen. Diese optische Verwandlung bewirkt, dass ich mich ganz anders bewege, ich habe eine ganz andere Körperspannung. Mir hilft es sehr. So werden die Dreharbeiten zu einem Genuss. Und es macht einfach superviel Spaß. (lacht.)
Sie spielen oft Adlige. Ist das Absicht?
Mir kommt das gar nicht so vor, als würde ich jetzt so signifikant oft Adlige spielen. Aber ich denke, es ist sicherlich nicht von Nachteil, wenn ich einen Aristokraten spiele, dass ich dann weiß, wie man einen Handkuss gibt. Es ist hilfreich, aber nicht ausschlaggebend. Ich scheine auch das richtige Gesicht dafür zu haben. Mir hat mal ein Kameramann gesagt, dass es seiner Meinung nach Menschen mit modernen Gesichtern und Menschen mit altmodischen Gesichtern gibt. Ich habe wohl ein eher altmodisches Gesicht. (lacht.) Daher passe ich wohl in der Vorstellung vieler so gut in die historischen Rollen.
Woran erkennt man denn ein altmodisches Gesicht?
So genau kann ich das nicht sagen. Ich habe aber festgestellt: Die These stimmt! Ich werde definitiv keine Namen nennen, aber ich kenne einige, die irgendwie moderner aussehen als andere. Es scheint Menschen zu geben, die in historischen Stoffen deplatziert wirken. Und dann gibt es eben solche, die sehen da sehr gut aufgehoben aus. Die sind dann wohl eher der historische Typ. (lacht.)

Sie haben gesagt, dass Sie beim Dreh immer etwas dazulernen. Welches technische Gerät beherrschen Sie jetzt dank "Anna Karenina"?
Ich habe noch nie zuvor ein Feld gepflügt. (lacht.) Das ist schwieriger, als man denkt. Es wird ja beim Film auch viel gefaked, aber ich habe auf jeden Fall eine Ahnung davon bekommen, wie anstrengend das ist.
Für viele Menschen ist der Winter generell Zeit für historische Stoffe. "Sissi", "Der kleine Lord"… , all diese Filme laufen immer wieder im Fernsehen und sind sehr beliebt. Bei Ihnen auch?
Als Kinder haben wir auch "Der kleine Lord" geschaut, das stimmt. Aber jetzt bleibe ich nicht mehr hängen, wenn der läuft. Ich glaube, ich würde kein Genre von Jahreszeiten abhängig machen.
"Anna Karenina" läuft am 4. Januar und läutet somit das neue Jahr ein. Was wünschen Sie sich denn für sich für 2014?
Eigentlich bin ich sehr zufrieden. Ich würde mich freuen, wenn alles so bleibt, wie es ist. Es gibt natürlich immer Luft nach oben. Ich wünsche mir einfach, dass die Menschen, die mir wichtig sind, gesund bleiben und dass ich sie möglichst oft sehen kann.
Deborah Löffler