Es ist ein Kino-Ereignis
, wie wir es viel zu selten erleben: KirstenDunst dabei zuzusehen, wie sie in "Melancholia" eine hochgradig depressive junge Frau spielt, berührt zutiefst. Als Justine schluchzt sie, zittert und wirkt dann so apathisch, als vergäße sie gleich das Atmen. Virtuos und glaubhaft empfindet sie die Verkapselung einer überforderten Seele nach. Neben den spektakulären Bildern ist es vor allem Dunsts Leistung, für die sie im Mai in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde, die Lars von Triers Weltuntergangsgeschichte zu einem so extravaganten, wuchtigen Melodram macht.
Für von Trier setzte Kirsten Dunst alte Ängste und Emotionen frei, sie litt selbst jahrelang an Depressionen. "Nach einer Vorstellung kam eine Journalistin zu mir, die mich interviewen sollte und vor lauter Emotionen zitterte und weinte, weil sie so bewegt war. Unglaublich!", sprudelt es im Interview mit "Gala" im "Hotel Martinez" in Cannes aus ihr heraus. Dort, im flatternden weißen Sommerkleid, wirkt sie heiter, offen und Lichtjahre von ihrer dunklen Phase entfernt. Sie lacht viel, freut sich über Komplimente - und flirtet sogar ein bisschen mit den Journalisten. Die Schwere, die in vielen Interviews der vergangenen Jahre deutlich spürbar war, scheint endlich nicht mehr auf ihren schmalen Schultern zu lasten: Die "kühle" Kirsten - so wurde die 29-Jährige stets wegen ihrer Zurückhaltung genannt - strahlt jetzt Selbstvertrauen und Wärme aus. Natürlich liefere ich mich mit diesem Film aus", sagt sie weiter, "weil er sehr persönlich ist. Ohne meine eigenen Erfahrungen mit dem Thema Depression hätte ich die Rolle bestimmt ganz anders gespielt. Denn ich hätte die Krankheit nicht annähernd so gut verstanden." Anfang 2008 hatte sich der ehemalige Kinderstar in die renommierte "Cirque Lodge"-Entzugsklinik in Utah begeben: Nach dem letzten Teil der "Spiderman"-Trilogie - er hatte Kirsten Dunst von der ätherischen Independent- Ikone in die A-Klasse Hollywoods katapultiert - war sie ausgebrannt.
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Das hübsche Mädchen, das mit drei Jahren für Werbespots vor der Kamera stand und mit zwölf Jahren als Brad Pitts blutsaugender Zögling in "Interview mit einem Vampir" berühmt wurde, war zu einer haltlosen und unglücklichen jungen Frau geworden. Sicher nicht nur, weil der frühe Ruhm sie überforderte. Auch die Trennung ihrer schwedisch-deutschen Eltern Inez und Klaus, Kirsten war neun, setzte ihr lange Zeit zu. Ablenkung und Sinn suchte sie später in Romanzen mit berühmten Kollegen: Tobey Maguire, Jake Gyllenhaal, Josh Hartnett oder Rocker Johnny Borrell. Weil die talentierte Schauspielerin so oft berauscht auf Partys abstürzte, verpasste ihr Promiblogger Perez Hilton hämisch den inzwischen berühmt-berüchtigten Spitznamen "Kirsten Drunkst".
"Ich glaube, ich bin in dieser Zeit erwachsen geworden", sagte sie im Interview mit "Gala" über ihre stationäre Therapie, "ich habe mein Leben neu sortiert, versucht eine Perspektive zu finden. Dieser Abstand hat mir vorher immer gefehlt, weil ich ständig gearbeitet habe. Es hat mir gut getan, herauszufinden, was mir wirklich wichtig ist." Sie nahm Malunterricht, stand weniger vor der Kamera, drehte einen beachteten Kurzfilm - und verliebte sich Anfang 2010 in den unbekannten Musiker Jason Boesel, 29, mit dem sie bis heute eine Beziehung fern des Rampenlichts führt. Man merkt ihr in Cannes an, dass sie angekommen ist. Selbst der Eklat, den der dänische Regisseur dort ausgelöst hatte, brachte sie nur kurz aus der Fassung: In der Pressekonferenz zu "Melancholia" hatte von Trier der Unterstellung, eine Vorliebe für Nazi-Ästhetik zu haben, ein ironisch gemeintes, aber völlig deplatziertes "Ich bin ein Nazi" entgegnet. Die Bilder der konsternierten Kirsten wurden auf YouTube millionenfach angeklickt, von Trier für den Fauxpas beim Festival zur Persona non grata erklärt. Als er dann auch noch sagte, er danke Kirsten dafür, "mental gestört" zu sein, weil sie sich so leicht in die Rolle habe einfinden können, und dass er mit ihr und Co-Star Charlotte Gainsbourg einen "Vier- Stunden-Porno" plane, wollte man sie bedauern. Sie regte sich zwar auf, lobte aber seine Fähigkeiten als Filmemacher.
Der Skandal war für sie schnell überwunden: Kurz darauf bekam sie den Darstellerpreis. "Eine der schönsten Erfahrungen meines Lebens! Wenn du so viel gibst, wünschst du dir nicht unbedingt, dass der Film von den Kritikern geschlachtet wird." Jetzt, zur offiziellen Premiere, zeigt sich: Das wird er nicht. Kirsten Dunst hat sich mit "Melancholia" selbst übertroffen. Und mögen wir auf der Leinwand noch so mitleiden: Um die Schauspielerin müssen wir uns nicht mehr sorgen. Roland Rödermund, Christian Aust