Der Mercedes taucht ab in den Tunnel, viel zu schnell.
Er kracht in den 13. Brückenpfeiler, schleudert herum, knallt gegen die Wand. So bleibt er stehen, qualmend, die Scheiben zersplittert. Der Fahrer ist sofort tot. Drei Blocks weiter denkt Jacques Langevin an sein Abendessen. Er fährt gerade zurück zu seinen Freunden, in den Westen von Paris. Ein Anruf hatte ihr Treffen unterbrochen. Ein lästiger Fotoauftrag beim "Ritz". Ausgerechnet am Samstagabend.
Langevin ist guter Dinge, die Bilder sind ganz passabel geworden. Er fährt über die Place de la Concorde, dann lenkt ihn eine Umleitung ans Ufer der Seine. Das Blaulicht reicht, um seine Neugier zu wecken. Langevin parkt seinen Golf, geht über die vierspurige Straße hinunter in den Tunnel. Dort sieht er das Knäuel aus Blech, einen Toten am Straßenrand, Polizisten und Sanitäter. Es ist der 31. August 1997. Auf dem Rücksitz des Mercedes liegt Diana, Prinzessin von Wales, zusammengekrümmt. Drei Stunden später wird sie nicht mehr am Leben sein. Jacques Langevin drückt auf den Auslöser. 15 Jahre später in Paris, Langevin sitzt in einem Café. Das Gespräch fällt ihm schwer, denn jeder kennt die Geschichte von rücksichtslosen Paparazzi, von der Prinzessin und ihrem Liebhaber. Auch Langevin hat einen Platz darin. Doch seine Version geht anders.
Sie beginnt mit dem Anruf am Samstagabend. Langevin arbeitet für die Fotoagentur Sygma und hat Bereitschaftsdienst. Gegen halb elf heißt es, man habe Prinzessin Diana und ihren Freund Dodi AlFayed im Hotel "Ritz" gesehen. Seit Wochen dokumentieren die Medien die neue Liebschaft. Langevin weigert sich, das Paar zu fotografieren, Promifotos sind nicht sein Ding. Er versucht Ersatz herbeizutelefonieren, ohne Erfolg. Vor dem "Ritz" trifft er die anderen. Die Fotografen postieren sich vor dem Eingang, warten auf die Prinzessin. Langevin entscheidet sich für die Hintertür - und hat Glück. Wenige Minuten nach Mitternacht verlässt das Paar das Hotel und steigt in ein Auto. Langevin schießt Fotos, die erst Jahre später veröffentlicht werden. Es sind die letzten der Öffentlichkeit zugänglichen Bilder, die eine noch lebende Diana zeigen. Zum Treffen im Café hat Langevin einen Laptop mitgebracht, zeigt seine wichtigsten Arbeiten. Auf dem Bildschirm sind blutüberströmte Studenten auf dem Tiananmen-Platz in Peking zu sehen, Massengräber in Ruanda - kein Mercedes, keine Prinzessin. Langevins Fotos haben Preise gewonnen. Er ist stolz auf seine Arbeiten. Und dann gibt es dieses eine Bild, das so anders ist, das jeder kennt, ausgerechnet dieses. Langevin hat es durch die Windschutzscheibe des Mercedes fotografiert, als der Wagen am Hinterausgang des Hotels stand. Der Fahrer reißt die Augen auf, in seinen Brillengläsern spiegelt sich grelles Licht. Von der Prinzessin auf der Rückbank sieht man nur eine schwarze Jacke und den blonden Hinterkopf. "Ich habe meine Arbeit als Journalist gemacht", sagt Langevin, "die Frage, ob ich fotografieren soll oder nicht, hat sich nie gestellt."


Nach einer halben Stunde drängt die Polizei die Fotografen im Tunnel an die Seite. Die Beamten sammeln die Presseausweise ein, beschlagnahmen die Kameras mit den Fotos. Als sieben Fotografen im Kleinbus der Polizei abtransportiert werden, filmen Kameraleute durch die Scheiben. Die Bilder gehen um die Welt, sie verkünden: Diese Männer haben die Prinzessin getötet. Von nun an sind sie die Gejagten. Wenn Langevin von der Nacht im Tunnel erzählt, macht er viele Pausen. Vielleicht fühlt er sich ein bisschen wie damals im Gefängnis, als die Polizisten ihn verhörten, stundenlang, ihm Handschellen anlegten und ihn von den anderen isolierten. Sie hängen Langevin eine Nummer um den Hals, fotografieren ihn vor einer Messlatte für die Verbrecherkartei. Jacques Langevin, angeklagt wegen fahrlässiger Tötung. Er sagt sich, alles werde ein gutes Ende nehmen. "Wann haben Sie erfahren, dass Prinzessin Diana tot ist?" - "Am Sonntagmorgen." - "Wer hat es Ihnen gesagt?" - "Die Polizei." - "Was haben Sie gedacht?" - "Dass die Konsequenzen groß sein werden." Doch nicht das Gericht verurteilt die Fotografen, die Medien tun es. Als Langevin am dritten Tag gehen darf, lauern Dutzende Kollegen vor dem Gebäude. Ein Polizist lotst Langevin zu einem Hinterausgang, niemand sieht ihn, als er auf die Straße tritt. Er taucht in der Menge unter, fährt schließlich in die Fotoagentur. Dort beraten sie, was zu tun ist. Langevin soll ein Interview geben, fürs Radio, ins Fernsehen will er erst mal nicht. Weil die Agentur von Journalisten belagert wird, lässt er sich im Kofferraum nach Hause bringen.
Einige Tage nach dem Unfall gibt er es doch, das erste Fernsehinterview, CNN schickt seinen Top-Reporter. Langevin bekommt Anfragen, sogar aus Chile und Japan. Irgendwann kann er nicht mehr und verreist. "Ich habe in der Zeit oft über meine eigene Branche nachgedacht", sagt er, "Menschen, die nicht damit vertraut sind, wären verrückt geworden."
Bevor Langevin das Café verlässt, sagt er einen Satz, der ihm schwerfällt, weil er wehtut. Und weil er wahr ist: "Ich werde immer der Fotograf aus der Nacht sein, in der Diana starb." Das ist sein Dilemma. Zehn Jahre nach dem Unfall wird er doch noch verurteilt. Nicht weil er im Tunnel Bilder machte, sondern weil er vor dem "Ritz" in den Mercedes hineinfotografierte, nach französischem Recht ein privater Ort. Langevin muss eine symbolische Strafe zahlen: einen Euro an Mohamed AlFayed, den Vater von Dodi. Es ist das niedrigste Strafmaß der französischen Justiz. Die Fotografen aus dem Tunnel - verurteilt. "Das ist in den Köpfen der Menschen", sagt Langevin. "Diana? Das waren die Paparazzi. Doch das ist einfach nicht wahr."
Die Prinzessin musste sterben, sagt Langevin, weil ihr Fahrer betrunken war, weil er viel zu schnell fuhr und niemand einen Sicherheitsgurt trug. Auch das Gericht sagt das. "Es waren nicht die Fotografen, die Diana in den Tod getrieben haben." Langevin fährt oft durch den Tunnel. Immer noch. "Wie fühlt sich das an, Monsieur Langevin?" - "Ich denke an den Unfall, das ist alles. Wenn ich aus dem Tunnel fahre, ist es wieder vorbei. Ich habe mit der Geschichte abgeschlossen. Nur die Fragen, sie hören nicht auf." Annika Sartor