Als wir Kay One zum Interview in Hamburg treffen, machen wir uns auf denjenigen Musiker gefasst, der in den vergangenen Jahren mit einem ausschweifenden Lebensstil auffiel und nur allzu gerne damit prahlte. Doch sein Image eilt ihm voraus. Denn während er sich auf seinem neuen Album "J.G.U.D.Z.S." auf die Wurzeln der Rap-Musik besinnt und zu ihnen zurückkehrt, schlägt er während des Gesprächs mitmal ganz andere, total neue Töne an. Damit hatten wir nicht gerechnet:
Der Titel deines neuen Albums "Jung genug um drauf zu sche**en" klingt absolut nach einer Ansage. Für wen oder was gilt dieser Satz denn?
Nein, das darf man nicht falsch verstehen. Das hat einen anderen Ursprung. Ich bekam vor kurzen zwei große Werbeverträge angeboten. Davor wollte man sich jedoch mein neues Album anhören. Nachdem ich es beiden Firmen gegeben hatte, meinten beide, dass sie sich mit dieser Art von Musik nicht identifizieren können und es nicht zu ihren Plänen passt. Sie sagten mir: "Entweder machst du jetzt ein Album wie das letzte mit massentauglicheren Songs oder wir kommen nicht ins Geschäft." Die haben mir die Pistole einfach auf die Brust gesetzt, doch da muss man mit mir gar nicht diskutieren.
Heißt, dass du nicht weiter mit ihnen verhandelt und dein Album nochmal überarbeitet hast?
Genau. Für mich war klar: Ich lasse mein Album, wie es ist. Das letzte war ja etwas massenkompatibler. Jetzt habe ich aber wieder Spaß daran, Leute zu ärgern, zu fluchen, zu beleidigen, sinnlos anzugeben und einfach zu polarisieren und zu provozieren. Das sind für mich die Wurzeln des Rap. Die Wurzeln, die ich einfach zu lange ignoriert habe. Und egal was nun andere – sei es dir Kritiker oder die Presse – über das Album sagen, für mich bleibt die Hauptsache, dass es mir gefällt.
Du stehst also immer hinter dem, was du machst?
Ich stehe voll zu diesem Album und mir ist bewusst, dass es das bisher härteste ist, aber eben auch das mit dem meisten Wortwitz. Es provoziert extrem. Aber das ist ja auch mein Style. Und deswegen habe ich angesichts der Werbedeals dann gesagt: Ich bin alt genug um es besser zu wissen, aber auch jung genug um drauf zu sche**en. So ist der Titel entstanden.
Okay, also können wir uns auf jede Menge Provokation gefasst machen?
Prozentual könntest du es so aufteilen: Zu 70 Prozent ist das Album hart, schießt nach vorne und beleidigt alles, was sich mir in den Weg stellt. Das sind etwa zwischen 14 und 15 Songs. Damit war das Album eigentlich auch schon fertig. Mir fehlte da aber noch die andere Seite von Kay One – wenn auch nur ein bisschen. Das sind die anderen 30 Prozent. Deswegen landete noch ein Liebessong auf dem Album. Und dann noch ein anderen sehr krasser Song, den ich zusammen mit Xavier Naidoo aufgenommen habe. Der geht um die Höhen und Tiefen des Lebens. Und dann ist da noch "Ikarus" – ebenfalls ein sehr tiefgründiger Song, der von dem Sohn des Daidalos handelt, der zu hoch geflogen ist und sich dabei die Flügel verbrannte. Also ein Song, in dem ich mir meine Fehler eingestehe.
Kay One und Fehler? Das sind aber ganz neue Töne. Heißt dass etwa, dass auch du Grenzen kennst und Fehler an dir erkennst?
Doch, klar, ich kenne Grenzen. Aber ich überschreite sie halt auch. Genauso gut kenne ich jedoch auch die Konsequenzen. Und diese bin ich bereit zu tragen. Ich weiß genau, was ich mache und das macht die ganze Sache ja auch so gefährlich – gerade für die Leute, die sich mit mir anlegen. Ich habe so viele Kritiker. Deswegen ist auf dem Album ein Song, der "F*ck die Reporter" heißt. Der ist aber nicht auf alle bezogen, sondern richtet sich an diejenigen, die ihren Namen einfach nur unter einer Schlagzeile lesen. Man muss dabei immer bedenken: Das ist Rap, das ist Entertainment. Ich mein, wenn ich rappe "Ich fliege im goldenen Hubschrauber über St. Tropez", wollen die dann wirklich da anrufen und fragen, ob die auf St. Tropez einen goldenen Hubschrauber verleihen?!
Du sprichst gerade viel von deinen Kritikern. Wie gut kannst du denn mit Kritik umgehen?
Ich bin ein Typ, der über sich selber lachen kann. Wenn du über andere Leute lachst, dann musst du auch einstecken können. Und weil ich bekanntermaßen auch ein Typ bin, der gerne schießt und Seitenhiebe verteilt, dann darf ich mich nicht wundern, wenn auch mal einer zurückschießt. Ich nehme das locker.
Dein exzessiver Lebensstil bietet genauso wie deine Musik Angriffsfläche für Schlagzeilen und Kritik. Wie stehst du dazu?
Ich lege auf Sachen wie Champagner, teuren Schmuck und all dieses sinnlose Geldverprassen keinen Wert mehr. Ich habe gemerkt, dass das einen nur für eine kurze Dauer glücklich macht. Das ganze Materielle hat mich über einen großen Zeitraum blind gemacht. Ich habe versucht, Stress mit Luxusgütern wieder wett zu machen. Doch irgendwann habe ich gemerkt, dass dadurch das Konto nur noch halb so voll ist, ich mir sinnlos Dinge kaufe, die ich mir sonst nie geholt hätte und dass das alles totaler Schwachsinn ist.
Also bereust du deine Vergangenheit?
Nein, missen will ich es dennoch nicht. Denn sonst wäre da ein großes Fragezeichen, das mich mein ganzes Leben lang plagen würde. So weiß ich wenigstens wie es ist, wenn man einen halben Fashionstore leer kauft. Ich weiß wie es ist, beim Feiern 100 Flaschen Champagner zu öffnen. Ich weiß, wie es ist, einen Lamborghini zu fahren und eine extrem teure Uhr zu tragen. Ich kenn diese ganzen Sachen jetzt. Ob ich stolz drauf bin? Nein. Ob ich stolz darauf bin, was ich musikalisch geleistet habe? Ja. Würde ich heute nochmal alles genauso machen? Ja. Aber auch nur einmal. Und dann nicht mehr.
Und was macht dich jetzt glücklich, wenn es nicht mehr Champagner und Co. sind?
Meine Familie natürlich. Alles andere ist sinnlos. Ich will meine Weste jetzt auch nicht reinwaschen, ich sage nicht, dass ich sesshaft werde. Ich sage nicht, dass ich jetzt ein anderer Mensch bin und dass alles daneben war, was ich gemacht habe. Nein, ich bereue gar nichts. Es war alles geil, was ich gemacht habe. Aber das war so eine Verschwendung – ich würde es nie wieder machen.
Warum willst du erst einmal nicht sesshaft werden?
Sowas kannst du doch eh nicht planen. Ich bin Single, habe keine Freundin. Ich bin viel unterwegs. Das geht momentan also gar nicht. Und man braucht auch eine Frau von der man weiß, dass sie noch da ist, wenn man alles andere plötzlich nicht mehr hat.
Woher kommt dieser plötzliche Lebenswandel? Gab es dafür einen Schlüsselmoment?
Als Schlüsselmoment würde ich es nicht bezeichnen. Eher hat sich der Wandel auf vier, fünf Monate verteilt. Wenn du irgendwann die schönsten Frauen gedatet hast, wenn du die schnellsten Autos gefahren hast, die wildesten Partys gefeiert hast, dann gibt es keine Steigerung. Und irgendwann sitzt du zu Hause und weißt am Abend wäre die nächste Party, aber eigentlich bist du noch kaputt von der letzten Nacht, dann denkst du irgendwann "Das Beste wäre einfach, zu Hause mit den Eltern im Garten zu sitzen". Dein Vater grillt, dein kleiner Hund springt herum, deine Brüder sind dabei. Und alles was du hast, würdest du in diesem Moment mit dieser Vorstellung tauschen. Ich habe meine Eltern die letzten Jahre fast nie gesehen, weil ich so viel unterwegs war.
Du vermisst also dein altes Leben, den Kay One von damals?
Wenn ich so rede, denken wahrscheinlich alle "Der hat leicht Reden, es ist doch voll geil alles zu haben und bekannt zu sein", aber diese Personen kennen nicht die Kehrseite der Medaille. In deinem alten Leben hattest du alle Freiheiten. Du konntest machen, was du möchtest. Niemand hat dich erkannt. Und dann kommt das neue Leben. Du tauschst alles. Aber da kommt nichts zu deinem alten Leben dazu. Du tauschst. Du tauschst deine Anonymität gegen ein Leben in der Öffentlichkeit. Du tauschst wahre Freunde und die wahre Liebe gegen Fame, gegen eine riesige Plastikwelt. Und wenn da die Lichter ausgehen, ist die Party vorbei.
Aber zwischendurch hat dich dieses Leben doch glücklich gemacht? Was öffnete dir die Augen?
Klar, denn du gewinnst ja erst einmal all die Luxusgüter dazu. Aber auf Dauer hat es nicht den Wert, als das, was du zuvor hattest. Das Problem ist, dass du es erst später erkennst. Davor war es ja selbstverständlich, also alles in deinem "normalen" Leben. Und ich habe irgendwann gemerkt, dass ich versuche den Leuten zu imponieren und zu gefallen, die mich normalerweise gar nicht nehmen würden. Also so, wie ich eigentlich bin – beziehungsweise war. Das war der Punkt an dem ich gecheckt habe, dass ich einfach wieder normal werden und nach Hause gehen muss, damit aufzuhören, wahllos Geld auszugeben und einfach wieder Musik zu machen.
Mit "J.G.U.D.Z.S." meldet sich Kay One am 19. Juni 2015 zurück, nachdem sein letztes Album "Rich Kidz" 2014 direkt auf Platz 1 der deutschen Charts einstieg. Zusammengearbeitet hat er dafür mit nationalen sowie internationalen Musikgrößen wie Xavier Naidoo, DMX und Dante Thomas. Man darf also gespannt sein.