Knackwürste und Bananen!
Für unsere Tour durch die Stadt hat der Fotograf Berge an Proviant besorgt. Claudia Michelsen, 43, klemmt eine Wurst in ihre Semmel und diskutiert mit dem Fahrer über den kürzesten Weg hoch zum Weißen Hirschen, das Villenviertel, wo Uwe Tellkamps nun verfilmter Vorwenderoman "Der Turm" spielt. Claudia Michelsen hat heute noch viel vor in ihrer ehemaligen Heimat: Unbedingt in die Molkerei Pfunds auf eine Eierschecke ("ein Muss"), die Elbwiesen ("sehr schön bei Nebel"), zur Standseilbahn und natürlich in die Galerie Lehmann in der Neustadt.
Mit 16 Jahren ging sie weg aus Dresden, zur Ernst-Busch-Schauspielschule nach Ost-Berlin. Später folgen sieben Jahre in Los Angeles, dann geht sie zurück nach Berlin. "Ich erlebe die Sachsen als so warme Menschen, dass ich hier immer auch das Gefühl von zu Hause habe", sagt sie. Dabei zog es sie schon als Kind hinaus in die Welt, von der ihr Ziehvater Michelsen als Ingenieur bei der Handelsflotte berichten konnte. Ihre Mutter ist Zahnärztin, ihren leiblichen Vater, den Komponisten Udo Zimmermann, lernt sie erst als Jugendliche kennen. Hat sie bei den Dreharbeiten zu "Der Turm" überlegt, wie ihr Leben ohne Mauerfall ausgesehen hätte? "Ich wäre vermutlich abgehauen", sagt sie spontan. "Doch dann lag mein geliebter Ziehvater im Sterben, und da wollte ich nicht gehen. Und dann wurde ich völlig unerwartet an der Schauspielschule angenommen." Heute zählt Claudia Michelsen zu den bekanntesten Gesichtern des deutschen Fernsehens, wenngleich ihr Name den meisten nicht spontan einfällt. Auch die Passanten beim Shooting in Dresden rätseln, woher sie diese Frau kennen. Von Promi-Events jedenfalls nicht, die sind ihr suspekt. Im Mittelpunkt zu stehen - vom Fotografen zu Posen animiert, von Stylistin und Visagistin umschwirrt - ist nicht gerade ihre Lieblingsrolle. Die Haut um ihre Nase spannt sich dann; einziger Hinweis darauf, dass sie sich aufs Durchhalten konzentrieren muss.
Zur Zeit der Wende 1989 ist Claudia Michelsen zwanzig und Ensemblemitglied an der Berliner Volksbühne. Zwischen Legenden wie Heiner Müller und Frank Castorf saugt sie die Diskussionen auf, denn das politische Anliegen des Theaters hatte sie zur Bühne gezogen. Wie sie jenseits des Berufs ihre neue Freiheit genoss? "Mein erster Freund lebte in Potsdam. Nach der Maueröffnung konnte ich mit der S-Bahn quer durch die Stadt zu ihm. Das war meine kleine Errungenschaft.". Beruflich legt sich die Euphorie bald, die politische Reibung fehlte. "Wir Schauspieler mussten uns neu erfinden. Bis ich begriff, dass alles, selbst jede Beziehungsgeschichte, politisch übertragbar ist." Michelsen wollte nach Paris, filmte sogar mit Jean-Luc Godard. Doch sie landete 1994 in Los Angeles, aus Liebe zu Regisseur Josef Rusnak. "Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals für einen Mann in eine andere Stadt ziehen würde, aber so ist das im Leben mit den Plänen."
Hollywood reizte sie nicht wirklich. In L. A. bekommt sie ihre erste Tochter und hetzt halbherzig von Vorsprechen zu Vorsprechen. "Ich fand mich nur noch im Auto wieder, auf dem Beifahrersitz jede Menge Zettel mit Texten, Adressen und Notizen und wusste, dass mein Kind ohne mich zu Hause ist - das wollte ich nicht." Und doch geht es mit Filmen fürs deutsche Fernsehen weiter. Immer wieder fliegt sie in den sieben Jahren für Dreharbeiten über den Atlantik. Seit 2001 lebt Claudia Michelsen wieder ganz in Deutschland, gemeinsam mit dem Schweizer Schauspieler Anatole Taubman hat sie eine zweite Tochter bekommen. Über ihre Familie spricht sie wenig. Die Namen ihrer Töchter will sie nicht in der Zeitung lesen, verrät nur: "Wenn das die Pubertät ist, wie meine Große sich benimmt, dann ist das herrlich. Ich freue mich sogar, wenn es bei uns mal laut wird."
Dabei gibt sie in ihren Rollen selten die Exzentrikerin; die Gefühlswirrungen ihrer Figuren zeigt sie in wohldosierter Mimik. Eine der besten Szenen in "Der Turm" ist, wie Claudia Michelsen ihrem egozentrischen, notorisch untreuen Filmgatten (Jan Josef Liefers) sagt, was sie von ihm hält: freundlich, mit überlegener Ruhe, ganz bei sich, stark. Laien fragen sich da, ob sie ihre Emotionen auch privat so kontrolliert steuern kann: "Nein", sagt sie und lacht dabei. "Wenn mir etwas die Beine weghaut, bin ich aufgeregt wie jeder andere und bekomme einen hochroten Kopf. Und darüber bin ich eigentlich auch ganz froh." Bettina Klee