Um vier Uhr morgens ist er in London aufgestanden. Schließlich wollte er pünktlich in Hamburg sein. Doch Müdigkeit ist Paul Smith, 67, nicht anzusehen. Gut gelaunt und mit wachen Augen startet der britische Designer ins Interview. Er trägt einen grauen Anzug und ein weißes Hemd. Gewohnt lässig sieht er darin aus – und gleichzeitig sehr stylish. 1970 hat Smith sein erstes Geschäft in seiner Heimatstadt Nottingham eröffnet, inzwischen gibt es Paul-Smith-Boutiquen auf der ganzen Welt. Nun eröffnete der von der Queen geadelte Couturier auch einen Shop in Deutschland.
Sir Paul ...
Ich bin Paul.

Okay, Paul, Sie verkaufen Ihre Mode in 74 Ländern. Warum hat es mit einer Dependance in Deutschland so lange gedauert?
Dafür gibt es keinen bestimmten Grund. Wir haben tatsächlich rund 300 Boutiquen auf der Welt und jetzt ist Deutschland dran. Hamburg ist perfekt dafür, es ist eine inspirierende Stadt. Der Fischmarkt, das Rotlichtviertel, der Hafen, das alles erinnert mich irgendwie an Tokio.
Haben Sie viele Kunden in Deutschland?
Im Vergleich zu Frankreich, Italien und natürlich meinem Heimatland Großbritannien sind wir in Deutschland noch nicht so erfolgreich. Das möchten wir jetzt ändern. Ich glaube, dass die Deutschen Paul Smith mögen werden, weil wir wunderschöne Mode mit Liebe zum Detail entwerfen. Unser Schwerpunkt liegt immer noch auf maßgeschneiderten Damen- und Herrenanzügen. Der Großteil der Kollektion wird in Italien und Großbritannien produziert.
Wie finden Sie den Modestil der Deutschen?
Sie haben einen guten Stil, legen großen Wert auf Qualität und gute Marken mitTradition. Dazu passen wir hervorragend.
Was sagen Sie zum Look unserer Kanzlerin Angela Merkel?
Sie trägt farbige Blazer, was schon mal sehr klug ist. Damit sticht sie zwischen den dunkelblauen Anzügen ihrer männlichen Kollegen heraus. Generell könnte sie sich schon ein bisschen modischer kleiden. Frau Merkel hat nun mal eine etwas fülligere Figur, daher empfehle ich ihr eher Kleidung, die nicht aufträgt. Vielleicht sollte sie festere Stoffe tragen, die ihrem Look mehr Form geben. Sie bräuchte ein bisschen Beratung. Mit ein paar kleinen Veränderungen wäre ihr Look perfekt.
Paul Smith ist ein privat geführtes Unternehmen, was für ein international erfolgreiches Modelabel sehr selten ist.
Ja, zum Glück kam ich noch nie in die Situation, mir von irgendjemandem Geld zu borgen. Dabei hätte ich mein Unternehmen für viel Geld verkaufen können. Vor allem während des Banken-Booms in den Neunzigerjahren wurden mir sehr hohe Summen geboten. Aber das hat mich nie gereizt. Ich mache meinen Job, weil ich ihn liebe, kreativ und spontan sein kann und ich keine stundenlangen Diskussionen führen muss, ob meine Ideen ins Unternehmenskonzept passen oder nicht. Diese Freiheit gebe ich niemals auf.
Wie vereinen Sie Kreativität und Geschäftssinn?
Das bleibt auch nach 40 Jahren im Business die größte Herausforderung. Ich weiß nicht wie, aber seit ich mit 21 Jahren mein erstes Geschäft eröffnet habe, gelang es mir, dem Image meines Labels treu zu bleiben und trotzdem damit Geld zu verdienen. Und das, obwohl ich mit 15 Jahren die Schule verlassen habe, weil ich Radrennprofi werden wollte. Fürs Modebusiness war ich eigentlich überhaupt nicht qualifiziert.
Was sind heutzutage die größten Herausforderungen für einen Modedesigner?
Dass es von allem ein Überangebot gibt – was nicht nur für die Modebranche gilt. Als ich anfing mit Mode, gab es in meiner Heimatstadt zwei Herrenboutiquen. Jetzt sind es 170. Dazu kommen die ganzen Labels, die meine Ideen klauen, kopieren und für weniger Geld produzieren lassen. Das ist ärgerlich, kann man aber nicht verhindern.
Viele Modedesigner fühlen sich unter Druck gesetzt, weil sie immer mehr Kollektionen produzieren müssen. Wie ist das bei Ihnen?
Es ist in der Tat ein Hamsterrad geworden. Inzwischen gibt es Pre-Collections und Sonderkollektionen, und es werden immer mehr. Mein Vorteil ist sicher, dass ich von Natur aus ein sehr ausgeglichener, ruhiger Mensch bin. Daher kann ich mit diesen Anforderungen sehr gut umgehen, ohne dass sie mich aus der Bahn werfen. Ich habe auch nicht das Gefühl, dass meine Kreativität darunter leidet.
Apropos Kreativität: Sie sagten einmal, ihr Büro inspiriere sie ...
Mein Büro ist vollgestopft mit Gegenständen, und ständig gehen Leute rein und raus, die mir neue Ideen präsentieren. In der Mitte des Raums steht ein großer leerer Arbeitstisch aus Holz, an dem wir unsere Kreativ-Meetings abhalten. Während wir um den Tisch sitzen, greife ich nach einem der vielen Bücher oder Gegenstände hinter oder neben mir, um meine Ideen zu veranschaulichen. Ein japanischer Kameramann, der mich einmal mehrere Tage lang filmte, meinte, mein Büro sei wie ein Strand, an den Dinge angeschwemmt werden.
Was inspiriert Sie noch?
Alles. Ich bin sehr neugierig und gehe mit offenen Augen durchs Leben. Ich fühle mich manchmal wie ein Kind, das immer wieder etwas Neues entdeckt. Das verwende ich dann für die Entwürfe meiner Kollektionen. Ob das im Museum ist, beim Spaziergang durch den Park, oder wenn ich in einem der Bücher in meinem Büro blättere. Ich muss nicht nach Spanien zu einem Stierkampf reisen, um mich inspirieren zu lassen. Außerdem liebe ich es, mich mit jungen Menschen zu umgeben. Und natürlich inspiriert mich meine Frau Pauline.
Mit ihr sind Sie seit über 40 Jahren zusammen.
Ja, sie war 27 und ich 21, als wir uns kennenlernten. Bis heute bringt sie mich noch zum Lachen und liefert mir Ideen. Pauline ist sehr belesen, hat Mode und Kunstgeschichte studiert. Wenn wir also in der National Gallery vor einem Tizian stehen, kann sie mir alles darüber erzählen. Wir haben früher sehr eng zusammengearbeitet, sie hat mich beim Entwerfen meiner Kollektionen viele Jahre unterstützt. Das ist aber längst vorbei. Inzwischen tanzt sie lieber Tango. Aber leider nicht mit mir.