Wenn Nicole Kidman oder Charlotte Gainsbourg in Paris shoppen gehen, führt ihr erster Weg nicht unbedingt zu Chanel. Mit gleicher Verve steuern sie zum Beispiel die Boutique von Vanessa Bruno am linken Seine-Ufer an. Die junge Designerin steht für puristischen Perfektionismus, clever geschnittene Kreationen mit eigenwilligen Details – durchaus passend für Auftritte in der Weltöffentlichkeit. Die Preise für ihre Prêt-à-porter-Linie liegen dennoch weit unter denen der großen Designhäuser. Womit Frau Bruno den Beweis antritt, dass großartige Qualität und innovatives Design auch für Normalsterbliche bezahlbar sind.
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"Luxus ist nicht das Gegenteil von Armut, sondern von Vulgarität", befand schon in den 1920er-Jahren Coco Chanel. Schlicht, sportlich, bequem, hochwertig und originell: So wollte die Modeschöpferin sich und die Damenelite kleiden. Ihre zeitlose Eleganz hat, nach einer Phase billiger Sexyness mit Hüfthosen und einfallsloser Revival-Raserei, wieder Hochkonjunktur. Die Designer setzen auf kreative Klassik, ihre Winterkollektionen kultivieren lässige Noblesse und edle Materialien in raffinierter Formvollendung. Für einen größeren Kundenkreis aber bleiben die stilbildenden Kollektionen internationaler Modehäuser wie Chanel oder Balenciaga weiterhin unerreichbar.
Obwohl deren Preise teilweise durch teure Produktionsbedingungen gerechtfertigt sind, zahlt man in den meisten Fällen einen satten Aufpreis für das Prestige der Marke. Diese Form von Status-Luxus ist so alt wie die Mode selbst, und bis die neureichen Märkte in Asien und Russland gesättigt sind, wird die Branche weiterhin zweistellige Zuwachsraten vermelden können.
In Europa und den USA jedoch ist Luxus heute ein komplexes Unterfangen. Der allgemeine Wertewandel hat die Einkaufstüten erreicht. "Was ist Luxus?", fragte das Marktforschungsinstitut Ipsos Ende 2005. Selbstbestimmte Zeit und Selbstverwirklichung standen ganz oben auf der Antworten-Hitliste der Deutschen. Luxus definiert sich zusehends weniger über den Preis und zunehmend über nicht materielle Faktoren. Menschen suchen Erlebnisse und Emotionen, erstklassige Dienstleistungen sollen die Lebensqualität steigern.So lauten auch die Schlussfolgerungen des "21st Centurion Living"-Reports von American Express. 100 führende Experten und Trendsetter, darunter Kreative wie Giorgio Armani und Alexander McQueen oder der Designhotel-Magnat Ian Schrager, wurden zur Zukunft des Luxus befragt. Als Schlüsselfaktoren hat die Runde die Begriffe Erleben, Wissen, Werte und Gewissen ausgemacht. Elitäre Konsumenten von morgen haben ein Bedürfnis nach Qualität und Nachhaltigkeit und empfinden Luxus als die Fähigkeit, sich mit zeitlosen, herausragenden Produkten zu umgeben, so die Studie. Diesen Richtungswechsel bezeichnet der Report als "neuen Luxus".
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Ikonen dieses Wertewandels sind Hollywoodstars. Ihr Engagement für den Klimaschutz oder für sozial- und umweltverträgliche Produktion macht Konsum zum Politikum. Diese prominenten LOHAS (Lifestyle of Health and Sustainability) führen ihren Fans ein Luxusleben vor Augen, das mehr will als nur den schönen Schein. So initiierte Brad Pitt für den sozialökologisch korrekten Wiederaufbau von New Orleans den Architekturwettbewerb "Low Income Housing". Grünes Vorbild ist auch Cameron Diaz im Hybridauto, die Ökolebensmittel kauft sowie Biobaumwolle von Stewart+Brown und Fair-Trade-Jeans von Edun trägt.Die Zukunft des Luxus baut also auf mehr Lebensqualität – aber die muss nicht zwangsläufig teuer sein. Das erweiterte Qualitätsbewusstsein der Konsumenten verlangt nach Mode, die auch jenseits der Nobelmarken dieses Lifestyleversprechen einlöst.

Auf Hamburgs teuerster Shoppingmeile eröffnete in diesem Frühjahr ein neuer H&M-Konzeptstore: COS (Collection of Style) soll als eigenständige Marke die Lücke zwischen High Street und High Fashion schließen. Für dieses Phänomen haben die US-Autoren Michael J. Silverstein und Neil Fiske in ihrem Standardwerk "Trading up" (2003) eine neue Formulierung gefunden: "Masstige", die Kurzform von: "Prestige für die Massen".
Die goldene Mitte
Zwischen Günstigware und demonstrativem Designerchic hat sich ein neues Geschäftsfeld aufgetan. Skandinavische Label wie J. Lindeberg, Filippa K., Tiger of Sweden und Acne propagieren schon seit ihren Anfängen die nordische Eigenart demokratischen Designs. Auch die Franzosen sind Pioniere der neuen L-Klasse. Exemplarisch für die Konzentration auf Qualität und ganzheitliche Shopkonzepte steht die Firma A.P.C. Im "Atelier de Production et de Création" wird seit 1987 die schöne Einfachheit kultiviert, die hochwertige Basic-Garderobe zu Preisspannen von 100 bis 300 Euro ist bei Insidern längst Kult und seit drei Jahren mit Boutiquen in Deutschland vertreten. Das Label Comptoire des Cotonniers expandiert seit zehn Jahren mit einfach-eleganter Baumwollmode und eröffnete jüngst seine achte deutsche Filiale in Hamburg.
Auch große Marken wollen die neue goldene Mitte nun vermehrt bedienen. Günstigere Zweitlinien wie Versus von Versace, Pradas Miu Miu oder Emporio Armani sind an sich nichts Neues. Sie gelten den Designermarken seit den späten Achtzigerjahren als Strategie, um zusätzliche Kunden im gehobenen Mittelfeld zu erreichen, auch wenn sie preislich noch weit über dem Budget der meisten Modefans liegen. Dennoch führt selbst Yves Saint Laurent diesen Herbst die "Edition 24" ein, eine 50-teilige Kollektion, die sich zu 24 essenziellen Basis-Looks kombinieren lässt. Die Preise liegen bis zu 30 Prozent unter der Hauptlinie und sind laut Chefdesigner Stefano Pilati ein qualitatives Angebot für eine breitere Käuferschicht. Noch weiter geht Armani mit seiner Exchange-Linie, in der er Blazer mit Einstiegspreisen ab 110 Euro anbietet. Und Marc Jacobs plant, neben seiner Zweitlinie "Marc" eine dritte Linie "Marc3" zu etablieren. Ein zukunftsweisendes Konzept?

"Luxus wird ein Schlüsselelement des Konsumverhaltens sein", glaubt die Trendprophetin Li Edelkoort, die den Begriff "Demokratisierung des Luxus" prägte. Darunter versteht die Holländerin die spielerische Verquickung von Edelmarken mit Massenware. Dass man sogar beides in einem haben kann, wissen wir, seit Karl Lagerfeld 2004 als Gastdesigner bei H&M für Furore sorgte. Nach Stella McCartney und Viktor & Rolf gibt sich in diesem Herbst der italienische Stardesigner Roberto Cavalli dort die Ehre. High-Low-Koalitionen sind weltweit zu einem Phänomen geworden. Bleibt die Frage, ob Stardesign allein schon Luxus ausmacht. Trotz des Medienrummels um die jährlichen Gastspiele der Weltklassedesigner ist H&M deshalb mit COS in die neue Komfortklasse eingestiegen. Konkurrent Inditex bietet anspruchsvollen Klassikliebhabern mit Massimo Dutti schon lange eine Alternative zu seinem Fashion-Copyshop Zara und hat die Schweden bei den Wachstumsraten mit dieser Mehr-Marken-Strategie abgehängt.
Auch der ehemalige Kreativchef von Adidas, Michael Michalsky, hat bei der Gründung seines eigenen Mode-Imperiums die Firmenstruktur der neuen Marktlage optimal angepasst. Neben seiner Designerlinie "Michalsky", die er jüngst auf der Berliner Fashion Week präsentierte, entwirft er für Tchibo die Basics-Linie "Mitch & Co". Diese „Grundanziehmittel“ sollen möglichst viele Menschen erreichen und im immer schneller zirkulierenden Modekreislauf eine schlichte, zeitlose und bezahlbare Alternative bieten.

Wer nicht auf den günstigsten Preis setzt, muss die wählerische Kundschaft zunehmend durch Qualität, Service und neue Präsentationsformen anziehen. Viele Marken im ehemals klassischen Mittelfeld haben deshalb aufgerüstet, um ihr Profil für die neue Nachfrage zu schärfen. Diesel hat die Gratwanderung von Kaufhaus zu Kult hinter sich und zeigt seit 2005 Prêt-à-porter auf der New Yorker Fashion Week. Eigene Konzeptstores in teuren Innenstadtlagen, limitierte Stückzahlen der Premiumlinie "Diesel Denim Gallery" und Italien als Hauptproduktionsort machen sich zwar auf den Preisschildern bemerkbar, aber das neue Image zieht massenhaft Kunden an. Überhaupt – die Jeans! Sie ist zum Sinnbild für die neue Klasse-Masse-Schnittmenge avanciert. Das demokratischste aller Kleidungsstücke, stilisiert zum Luxusobjekt. Lange bevor Marken wie 7 for all mankind Denim salonfähig machten, gehörte Evisu zu den Pionieren einer neuen Ära in der Jeanskultur. Heute bietet das japanische Label maßgeschneiderte Anzüge und Store-Extras wie ein eigenes Kino. Individueller Konsum und erlebnisorientierte Shoppingwelten, das ist "neuer Luxus" par excellence. Auch Replay setzt mit We are Replay auf Prêt-à-porter, und G-Star Raw feierte Laufstegpremiere in New York.Die Designer schließen sich der Goldgräberstimmung an: Alexander McQueen schneidert seit Herbst 2006 sein neues Label "McQ“ in Denim, und Karl Lagerfelds Jeansmarke "K" soll ab Herbst in ausgesuchten Departmentstores unters Volk gebracht werden. So überträgt König Karl mit seinem Ritterschlag für den einstigen Arbeiterstoff Coco Chanels Luxusdefinition ins 21. Jahrhundert.

Die Geburt des Über-Luxus
Und wie kommen richtig Reiche heute auf ihre Kosten? Natürlich gibt es auch hier nicht den einheitlichen Käufertypus. In Moskau und Shanghai versorgen Millionärsmessen diese boomenden Märkte mit Status-Luxus. Versace plant 15 Hotelanlagen für die Reichsten der Reichen, der erste der "Siebensterne-Paläste" soll 2009 in Dubai eröffnen. "Einfach zugänglicher Luxus ist nicht unser Ding", sagt Versace-Unternehmenschef Giancarlo Di Risio: "Die Hotels schließen den Kreis des Superluxus: Kleidung, Yachten, Privatflugzeuge und jetzt Resorts.“ Pelze, Juwelen, individuell getunte Karossen oder Jets mit Designerlogo – für manche Luxusgeschöpfe der Zukunft sind das indes alte Hüte. Viele, die sich wirklich alles leisten können, fühlen sich interessanterweise eher vom "neuen Luxus" angezogen.Wahre Dinstinktion erreicht man eben nicht durch Protz, sondern durch den Zugang zu exklusivem Service. Das wissen auch die Haute-Couture-Häuser. Deren Schauen dienen heute in erster Linie dazu, den Mythos der Marke zu unterfüttern und damit die vielen Taschen, Sonnenbrillen und Parfums zu verkaufen. "Die wahren Haute-Couture-Kunden kommen nicht mehr zu den Schauen", sagt Catherine Riviere von Christian Dior. "Da dreht sich alles um die Celebrities und das Image, das interessiert die Couture-Klientel nicht im Geringsten. Sie wollen die Kollektion in privatem Ambiente in Augenschein nehmen und nicht diesem Medienzirkus ausgeliefert sein." Deshalb hat sich in den letzten Jahren etwa bei Dior und Chanel ein neuartiger Homeservice etabliert: Die Kundschaft hält Hof und bestellt "ihren" Edelschneider per Privatjet zu Anproben. Ein weiterer Trend sind Personal-Styling-Termine mit den Kreativen – der individuelle Wunsch ist der Marke Befehl. Extras der Extraklasse, da kann auch das Parfumhaus Guerlain mithalten: 30 000 Euro kostet ein Parfum mit eigener Note.
So verwundert nicht, dass laut einer Umfrage des New Yorker „Luxury Institute“ die Lieblingsluxusmarke der Reichen ein Label ist, das auf die Strahlkraft eines Logos verzichtet. Bottega Veneta setzt seit 2001 unter dem Regiment des deutschen Designers Tomas Maier auf den diskreten Charme vollendeter Handwerkskunst und trifft damit den neuen Zeitgeist, der elegantes Understatement dem Statusprotz vorzieht. Kennerschaft braucht kein Logo. Die Marke wirbt mit den Slogan "When your own initials are enough".

Der Artikel "Luxus für Alle" ist dem neuen Trendguide "GALA STYLE" entnommen, der über Trends aus Fashion, Beauty und Living berichtet. Jennifer Lopez zeigt ihren neuen, eleganten Stil. Die 250 besten Looks werden vorgestellt - New York zeigt sich als Maniküre-Mekka und die Celine-Designerin Ivana Omazic stellt ihr Tokio vor. Außerdem werden die edelsten Designer-Home-Collections vorgestellt.
Das Sonderheft "GALA Style" ist seit dem 13. September drei Monate lang für 3,30 EURO im Zeitschriftenhandel erhältlich.