Wie dünn ist zu dünn?
Dies ist keine Frage guten Geschmacks. Hier geht es nicht um Ästhetik und Schönheitsphilosophie, sondern im Extremfall um Leben und Tod. Es ist an der Zeit, das Schlankheits-Gebot Hollywoods ernsthaft zu hinterfragen.
Nicht nur der Anblick knochiger Promi-Dekolletés ist alarmierend, sondern vor allem die Geschehnisse jenseits des roten Teppichs liefern Anlass zur Besorgnis: Vor Kurzem wurde die abgemagerte Tori Spelling ins Krankenhaus eingeliefert, wegen nicht weiter definierter Magenprobleme. Während der Dreharbeiten zu "Salt" musste der Notarzt die spindeldürre Angelina Jolie nach einem Schwäche-Anfall behandeln. Und Renée Zellweger, dünner denn je, ist dieser Tage kaum noch in einem anderen Outfit als ihren Sporthosen zu sehen.
Ständig im Work-out, ohne Pause. Normal ist das nicht - gesund auch nicht. Im Gegenteil: Das weltweit anerkannte Richtmaß für ein gesundes Körpergewicht ist der sogenannte Body Mass Index, kurz: BMI. Er errechnet sich aus dem Gewicht durch die Größe zum Quadrat. Wessen BMI unter 18,5 liegt, der gilt als untergewichtig. Jessica Albas BMI beträgt 17,8, Lindsay Lohan kommt sogar nur auf 15,8, und Tori Spelling unterbietet alle mit beängstigenden 15. "Untergewicht ist lebensbedrohlich", warnt der Berliner Ernährungsexperte Sven-David Müller. "Jeder Mensch hat einen individuellen Kalorienbedarf, im Schnitt aber liegt er zwischen 2000 und 2500 Kalorien pro Tag."
Typische Hollywood-Diäten wie etwa die, mit der Jennifer Lopez ihre Babypfunde bekämpft hat, oder Victoria Beckhams tägliches Programm aus Erdbeeren, Edamame-Bohnen und einem Hauch Fisch, erlauben nur 500 bis 800 Kalorien. Die Folgen: Die körpereigenen Abwehrkräfte sinken, die Gefahr, an Osteoporose zu erkranken, steigt, Nierenschäden drohen, die Haut wird fahl, Haare fallen aus, Fingernägel werden brüchig. Typisch sind außerdem eingerissene Mundwinkel.
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Klingt unschön. Trotzdem verfallen insbesondere US-Schauspielerinnen reihenweise dem Magerwahn. Casting-Direktor Joseph Middleton aus Los Angeles beobachtet das schon seit Längerem: "Wenn sie zum ersten Mal vorsprechen, sind sie begabte, hübsche Mädchen aus Chicago, Ohio oder Georgia. Ein Jahr später erscheinen sie als die verschmälerte Hollywood-Version ihrer selbst."
Man trägt unisono Size Zero. Bloß warum? Klar ist etwas dran, dass Foto- wie Filmkameras verzerren und die Statur kräftiger erscheinen lassen, aber ist das allein der Grund für die Massen-Diät der L.A.-Girls? "Es hat viel mit harten Konkurrenzkämpfen unter den Mädchen zu tun", erklärt Janice Min, Chefredakteurin der amerikanischen Zeitschrift "Us Weekly". "Gerade als weiblicher Newcomer musst du ständig mit deinen Rivalinnen buhlen, um Rollen oder männliche Aufmerksamkeit." Dies funktioniert in erster Linie über das Aussehen: "Die Schönere siegt. Und neuerdings ist das die, die am wenigsten wiegt, gibt Min zu bedenken.
Für diesen bedenklichen Trend ist maßgeblich die Mode-Industrie verantwortlich. Weil heute jeder rote Teppich zum Laufsteg wird, sich Models unter die Schauspielerinnen mischen und Darstellerinnen immer öfter modeln, wird beiden Berufsgattungen dasselbe abverlangt. Celebritys sind die neuen Magermodels. Denn in der Welt der Mode regiert - wie gerade auf den Schauen in New York, Mailand und Paris wieder gesehen - nach wie vor das androgyne Luftwesen, weil Kleider an dünnen Frauen angeblich besser aussehen.
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Dass Männerträume in der Regel von üppigeren Geschöpfen regiert werden, steht auf einem anderen Blatt. Und so können die Herren nur wehmütig zusehen, wie die bezaubernden Rundungen einstiger Schönheiten wie Catherine Zeta-Jones dahinschmelzen. Dabei klagte die Waliserin doch einst leidenschaftlich: "Ich finde es schrecklich, wie viele supermagere Frauen es in Hollywood gibt." Auch von der sexy Sirene Scarlett Johansson bleibt immer weniger übrig. Dabei hat keine je so hinreißend lustvoll und oft in Interviews über das Essen gesprochen wie der "Vicky Cristina Barcelona"-Star: Snickers finde sie besser als Milky Way, sie liebe Erdnüsse, und auch Zitronenkuchen schmecke super. "Käse ist meine größte Leidenschaft", schwärmte Scarlett regelmäßig in Interviews.
Bei ihren neuesten Statements allerdings vergeht einem der Appetit. "Früher brachten mich keine zehn Pferde in ein Fitnessstudio, heute könnte ich ohne mein tägliches Training nicht leben", erzählt sie. Um mindestens acht Kilo ist Scarlett geschrumpft, seit sie für ihre Rolle in "Iron Man 2" mit der eisenharten Promitrainerin Tracy Anderson schwitzt. Vergessen scheinen die Geschichten über Käse und Co., stattdessen hört man aus Scarletts Munde nur noch so weise Leitsätze wie: "Wer einen schönen Körper haben will, muss dafür kämpfen. Aber es gibt nun mal keinen Zauberstab, mit dem man herumfuchteln kann, um in einem Catsuit gut auszusehen." Wahrscheinlich haben weder Scarlett noch die anderen von der Hamburger Ernährungswissenschaftlerin Ingrid Mühlhauser gehört. Dabei könnten sie deren Erkenntnisse zum Umdenken bewegen: Nach einer Analyse von 42 wissenschaftlichen Studien über den Zusammenhang von Gewicht, Lebensdauer und Gesundheit kam Mühlhauser zu dem Schluss, dass Menschen mit einem kleinen Bäuchlein länger leben. "Ein leichtes Übergewicht ist gesünder als Untergewicht", so die Forscherin. Hey, Mädels, manchmal ist Käse doch die beste Medizin.